Krank in Gebäuden
Sick-Building-Syndrom
Die Patienten berichten, sie würden beständig unter dem schwer zu beschreibenden Gefühl leiden, es sei etwas Störendes, Beengendes im Hals und das müsse irgendwie heraus. Dauernd hätten sie das Bedürfnis zu schlucken oder sich zu räuspern. Bei einigen wird auch ein Hustenreiz oder Atemnot ausgelöst.
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Beschwerden
Viele Beschwerden
Viele Bürotätige verbringen zwischen 80 und 90% ihrer Zeit in geschlossenen Räumen. Auf diese Weise sind sie vor den Schwankungen des Klimas (Kälte, Nässe, Sonneneinstrahlung, Wind) geschützt. Klimaanlagen erzeugen dabei optimale Voraussetzungen für ein Arbeiten im Behaglichkeitsbereich.
Dies bedeutet eine Temperatur zwischen 20° und 23°C, eine Luftfeuchtigkeit zwischen 40 und 60%, geringe Sonneneinstrahlung und geringe Luftbewegung (keine Zugluft).
Bei zu hoher und zu niedriger Temperatur sinkt die Arbeitsfähigkeit, bei zu trockener Luft nehmen Schleimhauterkrankungen zu. Feuchte Luft begünstigt das Wachstum von Mikroorganismen (Pilze, Bakterien, Milben, Viren). Durch Klimaanlagen wird somit eine optimale Regulation erzeugt und ein Arbeiten im Wohlfühlbereich ermöglicht.
Das Arbeiten in Innenräumen führt zu weiteren Konsequenzen. Notgedrungen sind die dort lebenden Menschen Stoffen ausgesetzt, die durch das Gebäude und die Einrichtung freigesetzt werden. Folgende Problemstoffe werden für die Symptomatik verantwortlich gemacht und teils unter großem Aufwand entfernt:
- Hausstaub, Schimmelpilze, Haustierhaare
- Formaldehyd, Holzschutzmittel, Herbizide, Fungizide
- Pentachlorphenol (PCP), Lindan, Polychlorierte Biphenyle (PCB's)
- Flüchtige Stoffe, Lösungsmittel, Terpene
- Ozon, Reinigungsmittel
- Asbest, andere Fasern
- Elektrosmog
Kein Befund
Wenn tatsächlich eine relevante Schadstoffbelastung vorhanden ist, dann besteht natürlich Handlungsbedarf. Vor allem Schimmelpilze bei erhöhter Feuchtigkeit und schlechter Belüftung scheinen zu einem Problem zu werden zu können. Auch flüchtige organische und nicht organische Verbindungen können gelegentlich für die Symptome verantwortlich sein. Ebenso müssen Klimaanlagen regelmäßig gewartet und gereinigt werden.
Doch in der großen Mehrzahl der Fälle findet sich keinerlei auffälliger Befund. Weder in der Raumluft noch in der Klimaanlage sind Schadstoffe nachweisbar. Ganz im Gegenteil ist die Luft in den Räumen mit Klimaanlage meist besser als die in konventionell belüfteten Räumen; so das Ergebnis zahlreicher Untersuchungen.
Dies steht in denkbar krassem Gegensatz zur subjektiven Wahrnehmung der Betroffenen. Sie machen in der Regel die Klimaanlage für die Symptome verantwortlich. Das gilt besonders, wenn sich Fenster zum normalen Lüften nicht öffnen lassen.
Funktionelles Syndrom?
Wenn also weder Schadstoffe noch Mikroorganismen für die merkwürdigen Symptome verantwortlich sind, was ist dann die eigentliche Ursache?
Sind die Betroffenen Hypochonder? Sind die Symptome nur Ausdruck einer allgemeinen Arbeitsunzufriedenheit? Ist alles nur „eingebildet“?
Das Bundesumweltamt drückt das Dilemma etwas diskreter aus: „Zusammenfassend haben die Studien gezeigt, dass persönliche Faktoren und Empfindungen der Betroffenen, ihre Tätigkeit und die Benutzerfreundlichkeit ihres Arbeitsplatzes oft entscheidender für das Auftreten des Sick-Building-Syndroms waren als die Einflüsse des Bürogebäudes.
Tatsächlich zeigen Studien, dass einige Menschen besonders anfällig für das Sick-Building-Syndrom sind.
Zwei Gruppen scheinen besonders betroffen zu sein.
- Menschen, die vermehrt unter Allergien, Heuschnupfen und Asthma bronchiale leiden.
- Menschen mit hoher körperlicher oder psychischer Anspannung, Ängsten, Depressionen und vermehrten psychosomatischen Beschwerden.
Wie bei anderen funktionellen und psychosomatischen Störungen (z.B. Fibromyalgie, Reizdarm, funktionelle Atembeschwerden, usw.) leiden Frauen häufiger als Männer unter einem Sick-Building-Syndrom.
Zusammenfassend sind offenbar Menschen mit erhöhter Sensibilität und gesteigerter immunologischer Reagibilität für die Symptomatik anfälliger.
Ursachen
Kohlendioxid?
In den letzten Jahren sind eine Reihe von Studien erschienen, die den Zusammenhang von erhöhter Kohlendioxid-Konzentration in Innenräumen und dem Sick-Building-Syndrom untersucht haben. Dabei zeigte sich eine klare Tendenz: Je höher der Anteil des CO2 in der Raumluft, desto stärker wurde das Allgemeinbefinden und die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt und zahlreiche Beschwerden begünstigt.
Während die Luft im Freien um die 400 Teile CO2 pro Million Luftteile (ppm) hat, ist die Konzentration an CO2 in einem normalen Büro deutlich höher. Je nach Belüftung kann diese auf 1000 ppm oder noch mehr ansteigen. Über 1400 ppm treten bei den meisten Menschen Symptome auf (Konzentrationsstörungen, Kopfdruck, Platzangst).
Dabei reagieren Menschen jedoch subjektiv unterschiedlich auf die steigende Konzentration. Während einige Zeitgenossen hohe CO2-Mengen gelassen tolerieren, sind andere bereits durch einen leichteren Anstieg des Kohlendioxids deutlich irritiert.
Als Faustregel gilt: Je höher die allgemeine Sensibilität, Irritierbarkeit und Ängstlichkeit, desto höher ist auch Sensibilität gegenüber Kohlendioxid.
Erhöhte Sensibilität gegenüber CO2
Welche Konsequenz hat nun die erhöhte Sensibilität gegenüber CO2?
Wenn CO2 in der Atemluft steigt, löst dies bei allen Menschen (allerdings unterschiedlich schnell) eine vertiefte, beschleunigte Atmung aus. Medizinisch wird dies als „Hyperventilation“ bezeichnet. Diese führt dann sekundär zu komplexen Veränderungen in den Blutgasen, dem pH (Säure-Basen-Haushalt) und den Elektrolyten.
Während die akute Hyperventilation kaum zu übersehen ist (Herzrasen, Krämpfe, Atemnot, Angst/Panik), wird die chronische Hyperventilation dagegen häufig nicht wahrgenommen.
Zusammengefasst kommt es zu folgenden physiologischen Veränderungen:
- Abfall von Magnesium und Kalzium in den Zellen (vor allen Nervenzellen)
- Abfall der CO2-Konzentration im Blut und Anstieg des Blut-pH
- Abfall der Gehirndurchblutung
- Verschlechterung der Sauerstoffabgabe durch die roten Blutkörperchen
- Zunahme der Krampfneigung von glatter und quergestreifter Muskulatur
Überschneidungen
Als Leitsymptome des chronischen Hyperventilationssyndroms gelten:
- Kopfdruck/Kopfschmerzen
- Unwohlfühlen in geschlossenen Räumen mit vielen Menschen
- Konzentrationsstörungen
- Vergesslichkeit
- Reizbarkeit
- Schwindel und Benommenheit
- Brustschmerzen
- kalte Hände und Füße
- Müdigkeit
- Schlappheit
- Schläfrigkeit
- Wetterfühligkeit
- Trockenheit der Schleimhäufte
- Innere Anspannung, ängstliche oder depressive Symptomatik
Damit ergibt sich eine deutliche Überschneidung der Symptome des Sick-Building-Syndroms mit der chronischen Hyperventilation.
Gehirndurchblutung
In den letzten Jahren haben wir uns in unserer eigenen klinischen Arbeit auf die Zusammenhänge zwischen Erschöpfungund Atmung konzentriert.
Bei der Versorgung des Gehirns mit Sauerstoff spielen dabei zwei Mechanismen eine zentrale Rolle:
- Je niedriger der CO2 Gehalt im Blut, desto mehr nimmt die Gehirndurchblutung ab.
- Je niedriger der CO2-Gehalt im Blut, desto schlechter wird die Abgabe des Sauerstoffs durch die roten Blutkörperchen (genauer: Hämoglobin).
Bei einer chronischen Hyperventilation kommt es also über zwei verschiedene Wege zu einer Mangelversorgung mit Sauerstoff. Dies dürfte zumindest ein wesentlicher Faktor in der Entstehung von Kopfdruck, Erschöpfung, Leistungsschwäche und Konzentrationsstörungen sein.