Schmerzen und Brennen im Genitalbereich
Vulvodynie
Die Beschwerden bestehen in einem hartnäckigen Brennen und Wundsein im Genitalbereich. Enge Hosen sind unangenehme, Sitzen und Fahrradfahren werden schwierig und an Verkehr ist kaum zu denken. Die betroffenen Frauen suchen dann viele Frauenärzte auf. Doch es findet sich kein organischer Befund. Diese Symptomatik wird Vulvodynie genannt. Was ist das? Wie entsteht es? Was ist zu tun?
Was ist Vulvodynie?
Definition
Vulvodynie (engl. „vulvodynia“) wird beschrieben als „Beschwerden im Bereich des Scheideneingangs, die meist als brennender Schmerz beschrieben werden, ohne dass sich hierfür ein relevanter Befund oder eine eindeutige neurologische Erkrankung finden lässt“.
Zur Begrifflichkeit: Vulva = Gesamtheit der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane d.h. Venushügel, großen und kleinen Schamlippen, Klitoris und Scheidenvorhof.
Die Vulvodynie ist also eine Schmerzerkrankung der Vulva.
Beschwerden
Die Schmerzen sind unterschiedlich ausgeprägt. Sie können entweder diffus sich auf den Scheideneingang erstrecken oder lokal auf einen bestimmten Bereich der Vulva beschränkt sein. Besonders nach längerer Leidenszeit kann es sein, dass sich die Beschwerden auch auf die Blase (z.B. beim Wasserlassen) oder den Beckenboden ausbreiten.
Nach längerer Dauer treten neben Vulvodynie auch andere funktionelle Beschwerden auf, nicht selten gepaart mit depressiver Stimmungslage oder erhöhter Ängstlichkeit.
Nach unseren eigenen Untersuchungen stehen folgende Beschwerden im Vordergrund:
Schmerzcharakter
Schmerzort
Einschränkungen
Häufigkeit
Vulvodynie ist eine überraschend häufige Erkrankung. Nach amerikanischen Untersuchungen leiden 3-7% der Frauen im gebärfähigen Alter zumindest phasenweise unter den Beschwerden. In anderen Untersuchungen war die Anzahl der Frauen sogar noch höher. Bei einer Untersuchung an 4915 Frauen in Boston, USA, berichteten 16% über das Problem irgendwann in der Vergangenheit („Lebenszeit-Prävalenz“) und 7% litten unter akuten Beschwerden.
Am häufigsten sollen junge Frauen zwischen 18 bis 25 Jahren betroffen sein, doch reicht die Alterspanne von Jugendlichen bis hin zu Hochbetagten. Ein wesentlicher Unterschied zwischen verschiedenen Kultur konnte nicht gefunden werden.
Nach unserer Untersuchung deutet sich eine zweigipflige Verteilung mit einer Spitze in jungen Jahren und einer um die Menopause an.
Beschwerdebeginn
Formen
Primäre Vulvodynie
Auftreten beim ersten Gebraucht von Tampons oder erstem Verkehr
Sekundäre Vulvodynie
Nach einer Phase ohne Beschwerden
Lokale Vulvodynie
Die Schmerzen sind auf einzelne Bereiche beschränkt. Bei Berührung (z.B. Watteträger) kann sich hier eine Rötung zeigen. Diese Konstellation wird auch als VVS (Vulvar Vestibulitis Syndrome) bezeichnet.
Generalisierte Vulvodynie
Bei diesem Typ brennt/schmerzt die gesamte Vulva.
Provozierte Vulvodynie
Bei manchen Frauen treten die Schmerzen nur auf, wenn ein äußerer Reiz vorhanden ist, meist eine Berührung, z.B. beim Verkehr, Tampon oder durch enge Kleidung. Diese wird als „provoked vulvodynia“ bezeichnet.
Nicht provoziert
Im Gegensatz – und dies meist nach längerem Leiden – können die Schmerzen auch ohne äußerlichen Anlass auftreten („unprovoked vulvodynia“). Die meisten Betroffenen leiden jedoch nach unserer Untersuchung unter eine Mischform.
Zu den Häufigkeiten finden sich sehr unterschiedliche Angaben in der Literatur.
Wir haben eine große online-Untersuchung durchgeführt. Hier die aktuellen Zahlen.
Primär-Sekundär
Lokalisiert - generalisiert
Provoziert - nicht provoziert
Auslösung/Beginn
Die Daten- und Forschungslage zur Vulvodynie ist trotz der Häufigkeit der Beschwerden nach wie vor sehr begrenzt. Daher fehlen oft klare Angaben zur Häufigkeit, Ursachen usw.An erster Stelle sind Infektionen im Genitalbereich zu nennen. Dabei sind letztlich (vor allem lang anhaltende oder schmerzhafte/angsterregende) Infektionen mit einen höheren Risiko verbunden, später eine Vulvodynie zu entwickelt.
- Pilzerkrankungen (Soor)
- Bakterielle Infekte
- Trichomonaden
- Blasenentzündungen
- Herpes genitalis
Besonders erhöht sich das Risiko wenn gehäufte/verschiedene Infektionen über längere Zeit auftreten.Hier die Ergebnisse unserer Studie zur Vulvodynie.
Leidvolle sexuelle Erfahrungen
Obwohl es auf den ersten Blick sehr nahe liegt, dass leidvolle sexuelle Erfahrungen eine Vulvodynie begünstigen, ist die wissenschaftliche Datenlage unklar. Während ein Teil der Studien dies bejaht, können in anderen Studien kein Zusammenhang zwischen Missbrauchserlebnissen und späterer Vulvodynie hergestellt werden.
Aus unserer eigenen Erfahrung mit Patientinnen kommen diese Fälle vor, doch sind sie - glücklicherweise! - in der Minderheit. Nur 10% berichten über seelische und 6% über auch körperliche sexuelle Verletzung.
Somit entbehrt die häufige Unterstellung, das der Vulvodynie eine (vielleicht vergessene) Gewalterfahrung zugrund liegt, jeder Grundlage. Dies gilt natürlich nur für unsere Patientinnen. Dies mag z.B. in anderen Regionen der Welt oder nach kriegerischen Auseinandersetzungen anders sein.
Ursachen
Zentrale Sensibilisierung
Die Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass vor allem eine zentrale Sensitivierung für die Schmerzen verantwortlich ist. „Zentrale Sensitivierung“ (engl. central sensitization) ist die gemeinsame Ursache einer Vielzahl von sog. funktionellen Störungen. Daher treten diese Beschwerden auch häufig in Kombination auf.
Weitere Faktoren
Regionale, anhaltende Schmerzen haben jedoch (messbare) Folgen. Dies zeigt sich in den Forschungsarbeiten. Es wurde eine Reihe von erhöhten Neurotransmittern gefunden. Diese Befunde bedeuten jedoch nicht, dass dies die Ursache der Beschwerden ist. Unter anderem fanden sich
- Erhöhte Entzündungsfaktoren (u.a. Zytokine, TNF-Alpha, Interleukine)
- Erhöhte Anzahl von weißen Blutkörperchen (Lymphozyten, Leukozyten, Mastzellen)
- Leichte Entzündungen der Schleimhaut
- Zumindest im Verlauf der Erkrankung: Gesteigerte Innervation im betroffenen Gewebe, d.h. vermehrte Nervenausbildung
- Bestimmte Genvarianten (Genpolymorphismen) treten bei Vulvodynie gehäuft auf
Wesentlich dürften auch Forschungsergebnisse sein, die darauf hinweisen, dass die Betroffenen auch in anderer Hinsicht eine höhere Sensibilität aufweisen:
- Erhöhte Druckempfindlichkeit (im Körperbereich)
- Hohe Gehirnaktivität in Schmerzregionen (Hippocampus, Basalganglien, somatosensorischer Kortex)
- Stärkere Reaktion auf chemische Schmerzreize (Capsaicin)
- Höhere Kälteempfindlichkeit
Weitere Begleiterkrankungen
- Interstitielle Zystitis (IC)
- Reizblase
- Schmerzerkrankungen: Fibromyalgie, Schmerzen im Gesichtsbereich (Temporomandibuläre Dysfunktion, atypischer Gesichtsschmerz)
- Reizdarmsyndrom
- Sexuelle Beeinträchtigungen
- Funktionelle Störungen
- Angsterkrankungen, Depressionen
- Panikstörungen
Atmung
Wir konnten in den vergangenen Jahren sehen, dass bei einem nicht geringen Teil der Patientinnen - eigentlich die große Mehrheit - die andauernden Schmerzen zu einer stressbedingten Veränderungen der Atmung führt. Meist liegt eine zumindest leichte Form der chronischen Hyperventilation vor. Diese Tatsache ist insofern bedeutsam, als dies die Anspannung im Beckenboden verstärkt und die Sensibilität erhöht.
Candida & Co
Sehr viele Patientinnen haben eine lange Vorgeschichte mit Pilzerkrankungen. In unserer Untersuchung haben mehr als 80% zumindest deshalb ein Medikament verwendet. Nicht selten treten solche Beschwerden nach Einnahme von Antibiotika ein.
Es ist gut bekannt - und auch im Tierversuch reproduzierbar - dass Candida albicans (der häufigste Erreger) zu einer deutlichen Irritation der Nerven im Gewebe führt.
In der Folgezeit kommt es zumindest bei einigen der Frauen zu einer erhöhten Sensibilität auf geringe oder geringste Mengen an Candida. Selbst wenn Keime nicht oder nur in Spuren nachweisbar sind, treten Beschwerden wie bei einer Pilzinfektion der Scheide auf.
Schädigung durch Therapie
Auch Cremes, Salbe, Vorlagen können entweder mechanisch irritieren oder zu allergischen Problemen führen. Besonders problematisch sind chirurgische Eingriffe, die dann zu Wunden führen und so die Reizschwelle noch weiter absenken.
Viele Betroffene können auf eine wahre Ärzteodyssee zurückblicken. Manchmal ist es so, dass die Beschwerden schlechter werden, je mehr Ärzte konsultiert werden. (Dabei versucht natürlich jeder Arzt nach bestem Wissen, die Symptomatik zu verbessern.)
Daher ist Überdiagnostik und Übertherapie - bei allem guten Willen der Beteiligten - oft ein zusätzlicher Risikofaktor!
Am Ende haben einige Frauen den Eindruck das ganze Leben drehe sich um das andauernde Brennen. Es kommt zu einer Selbstverstärkung der Symptomatik.
Zusammenfassung
Aus unserer Sicht gehört die Vulvodynie zumindest im Wesentlichen zur großen Gruppe der Sensitivierungsstörungen. Hier nochmals die Ursachen zusammengefasst:
Am Anfang steht ein wiederholter äußerer Reiz. Meist wird dieser durch Infektionen (Pilze, Bakterien, Viren) ausgelöst oder ein mechanischer Reiz irritiert die Schleimhaut. Dabei spielt auch die damit verbundene innere Beunruhigung eine Rolle. Wenn Fragen auftauchen, wie „Was habe ich?“, „Geht das wieder weg?“, „Beeinträchtigt dies meine Sexualität?“, „Wie wird sich mein Partner darauf einstellen?“ dann wird die Aufmerksamkeit unwillkürlich auf die Vulva gelenkt und so – natürlich unbewußt - die Wahrnehmung verstärkt. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die erhöhte Aufmerksamkeit ist kaum oder gar nicht zu vermeiden. Es ist kaum möglich, nicht an das Schmerzen/Brennen zu denken.
Anfänglich kommen also vermehrt Reize aus der Region des Scheideneingangs. Der Körper reagiert mit erhöhter Aufmerksamkeit oder Reizschwellensenkung. Nach einer Weile klingt die lokale Infektion ab. Doch die erhöhte Reizempfindlichkeit bleibt.
Begleitbeschwerden
Wie bei den meisten vegetativen Beschwerden tritt auch bei Vulvodynie der Beckenbodenschmerz nicht isoliert auf, sondern ist meist von andere Symptomen begleitet, die Sie auf diesen Seiten finden.
Möglicherweise mag Sie das überraschen, doch aus unserer Sichtweise ist das vollständig folgerichtig, da wir das Vulvodyniesyndrom im Zusammenhang mit Notfallprogrammen des Körpers verstehen.
Sie finden hier Näheres und auch auf vielen anderen Seiten, z.B. zum Fibromyalgiesyndrom, Reizdarmsyndrom oder Reizblasensyndrom.
Bei unserer Untersuchung fanden sich zahlreiche, häufige Begleitsymptome.
Weitere Beschwerden
Persönlichkeit
Bei der Therapie von Vulvodyniepatientinnen fällt uns immer wieder auf, dass eine bestimmte Form von Persönlichkeit dominiert. Es sind häufig sensible Leistungsträger, die vielleicht nicht unbedingt "Draufgängerinnen", sondern eher zurückhaltend und vorsichtiger sind.
Bei der Untersuchung konnten wir dies bestätigen. Die ganz überwiegende Mehrzahl schildert sich als sensibel, leistungsbereit und genau!
Sensibilität
Leistungsbereitschaft
Genauigkeit
Jeweils 357 Teilnehmerinnen
Diagnose
Bei der Diagnose sollten organische (z.B.gynäkologische, neurologische) Erkrankungen ausgeschlossen. Dazu gehört selbstverständlich eine gynäkologische Untersuchung.
Es findet sich eine allgemeine Überempfindlichkeit (med. Hyperalgesie) oder ein an sich nicht schmerzhafter Reiz (z.B. Berührung, Kälte/Wärme) wird als schmerzhaft empfunden (med. Allodynie).
Falls der Schmerz ohne äußeren Anlass auftritt (z.B. Berührung mit Watteträger) dann spricht ist eine generalisierte Vulvodynie anzunehmen.
Falls die Schmerzen nur bei Berührung (z.B. Watteträger) auftreten, dann liegt eine „provoked Vulvodynia“ vor. War das bereits seit der Menarche (1. Periode) so, dann liegt eine „primäre“ Erkrankung vor, ansonsten würde man von einer „sekundären“ Erkrankung sprechen.
Kriterien
- Schmerzen und Brennen im Vulvabereich. Verstärkung bei Druck oder Berührung (Verkehr, Fahrradfahren, Kleidung)
- Keine oder nur geringe Rötung
- Ausschluss von anderen Erkrankungen (z.B. Vulvovaginalkandidose, Herpes genitalis), neurologischen (z.B. Herpesneuralgie, Spinalnervkom pression), dermatologischen (z.B. Lichen planus, Lichen sclerosus) oder neoplastischen Erkrankungen (z.B. vulväre intraepitheliale Neoplasie)
- Dauer über drei/sechs Monate
Ausschluss verschiedener Krankheiten
Bei der Klärung der Ursachen sollten eine Reihe von Krankheiten untersucht bzw. ausgeschlossen werden. Unter anderem folgende:
- Organische Erkrankungen der Vulva (u.a. Lichen sclerosus)
- Erkrankungen der Nerven (Neuropathie) im Bereich des kleinen Beckens
- Fortgeleitete Schmerzen (Ausstrahlungen) aus anderen Bereichen des kleinen Beckens
- Fehlfunktionen der Muskulatur des kleinen Beckens
- Depressionen sollen häufiger bei den Betroffenen vorhanden sein, wobei unklar ist, ob dies Ursache oder Folge der Beschwerden ist (siehe diese Problematik bei Fibromyalgie)
- Hauterkrankungen
- Pilzerkrankungen
Therapie allgemein
Die Körperpflege sollte sehr vorsichtig sein.
- Es wird empfohlen keine Deos oder ähnliches zu verwenden.
- Vorsicht mit Parfüm, Seifen, Shampoo oder ähnlichem.
- Der Scheideneingang sollte möglichst mit vorsichtig mit Wasser gereinigt werden, sanft trocken getupft und danach mit einem milden Hautöl oder Pflanzenöl gepflegt werden.
- Falls Tampons irritierend wirken, sind Binden aus Baumwolle günstiger.
- Beim Verkehr sind Gleitmittel empfehlenswert. Nach dem Verkehr können Kühlpacks (nicht übertreiben) hilfreich zur Abschwellung sein.
- Nach dem Wasser lassen, ist es möglicherweise sinnvoll, die Vulva mit Wasser zu reinigen.
Vorsicht bei Salben etc.
Sehr viele Salben, Tinkturen werden empfohlen.Sehr häufig führen die lokalen Medikamente jedoch zu einer weiteren Sensibilisierung und damit Verschlechterung der Beschwerden. Kurz: Das Brennen wird verstärkt. Daher besteht oft der erste Therapieschritt in einer Absetzung aller Salben usw.
Es gibt jedoch Situationen, da können bestimmte Präparate hilfreich sein. Dies sollten Sie jedoch mit Ihrem Arzt absprechen. Folgendes kann ein Versuch wert sein:
- Örtliche Betäubungsmittel. Diese können z.B. 30 min. vor dem Verkehr angewandt werden. Auch eine Anwendung über Nacht auf einem Wattebausch ist - allerddings nur gelegentlich- hilfreich
- Kombinationen von lokalen Betäubungsmitteln (z.B. Salbe aus der Apotheke)
- Reine Vaseline oder ähnliche Pflegemittel wurden in Einzelfällen mit Erfolg eingesetzt.
- Salben zur Durchblutungsförderung wirken in Einzelfällen
- Kombination aus Antidepressiva und Schmerzmittel reduziert Schmerzen in Einzelfällen.
Insgesamt sehen die Teilnehmerinnen aus unserer Umfrage die große Mehrzahl der lokalen Mittel sehr skeptisch. Am "besten" schnitten noch reine Pflegemittel ab, doch auch hier sind die Erfahrungen äußerst bescheiden.
Lediglich eine drei auf der 10stufigen Skala wurde von den "besten" Salben erreicht.
Daher empfehlen wir Salben nicht. Am ehesten sind reine Pflegemittel mit möglichst wenig Inhaltsstoffen oder Öle wie Kokosöl zu verwenden.
Generell ist die Wirksamkeit von Medikamenten sehr begrenzt, wie unsere Befragung zeigte. Dennoch seien hier einige Präparate erwähnt.
Antidepressiva: Diese Medikamente wirken (in hoher Dosis) gegen Depressionen. In sehr niedriger auch gegen Schmerzen. Bei praktisch allen zentralen Sensitivierungsstörungen (Reizdarm, Fibromyalgie, Reizblase u.a.) werden diese Präparate mit Erfolg eingesetzt. Wir geben unseren Patienten dann konkrete Empfehlungen zu einer konkreten Substanz.
Da die meisten Patientinnen sehr sensibel auch auf Medikamente reagieren, sollte es niedrig begonnen und dann nach Bedarf gesteigert werden („start low, go slow“). Wir verordnen Antidepressiva als Tropfen und beginnen mit einem einzigen Tropfen in etwas Wasser am Abend. In den nächsten Abenden kann dann tropfenweise leicht gesteigert werden. Der Schlaf wird dadurch gleichzeitig ruhiger und tiefer. Morgens sollten sich die Betroffenen ausgeschlafen aber nicht benommen fühlen. (Amitriptylin ist verschreibungspflichtig, wie immer: mit Arzt absprechen).
Wichtig: Die Wirksamkeit von Antidepressiva beruht nicht auf dem antidepressiven Effekt sondern auf der Schmerz-stillenden Wirkung.
Antikonvulsiva: Auch Mittel gegen Epilepsie haben eine Effekt bei Vulvodynie. Sie dämpfen die erhöhte Reizbarkeit der Nerven. Sie müssen individuell dosiert und über eine Zeit eingenommen werden, um eine Wirkung zu entfalten.
Nervenblockaden: Die Erfahrung mit der Blockade der Nerven durch Injektionen ist sehr wechselhaft. Ein nachhaltiger Erfolg ist selten.
Kortison: Kortison hat sich – auch als Infektion in die Schmerzregion – nicht als hilfreich erwiesen.
Wenn Sie auf die untenstehende Auswertung sehen, werden Sie leider erkennen, dass Medikamente generell bei unserer Umfrage äußerst kritisch gesehen werden. Der blaue Balken gibt jeweils an, wenn die Präparate als wenig hilfreich (0-2) eingeschätzt werden. Der grüne Balken bezieht sich auf die Einschätzung hilfreich (8-10).
Chirurgische Eingriffe
Es werden verschiedene operative Eingriffe durchgeführt, bei denen schmerzhafte Bezirke teilweise oder komplett entfernt werden. Aus unserer Sicht würden wir davon sehr stark abraten. Es müssen sehr gute Argumente für eine Operation vorliegen, bevor diese bei einer "normalen" Vulvodynie in Erwägung gezogen werden sollte. Wir haben Patientinnen gesehen, bei denen die Beschwerden auch nach einer völligen Entfernung der Schamlippen unverändert weiter bestanden.
Ähnliches gilt von sehr schmerzhaften Therapieverfahren, die nach unserer Erfahrung zu einer Zunahme der Sensitivierung und damit mehr Schmerzen führen. Ebenso sind alle Verfahren ungünstig die mit starker Angst verbunden sind.
Psychotherapie
Eine alleinige Psychotherapie (ohne begleitenden anderen Maßnahmen) ist in der Regel nicht ausreichend um eine anhaltende Schmerzreduktion zu erreichen. In Kombination mit anderen Verfahren (z.B. multimodale Therapie) kann Psychotherapie ein sehr wertvolles Element darstellen, z.B. um Ängste zu reduzieren und über die Partnerschaftsproblematik zu sprechen.
Bewertung von einzelnen Therapieverfahrenb
Bei unserer Befragung schnit die multimodale Therapie am besten ab. Diese enthält bei uns auch Massagen - ebenfalls sehr gut bewertet. Ebenso wurden körpernahe Verfahren deutlich besser eingeschätzt, als Medikamente oder eingreifende Verfahren wie Lokalanästhesie durch Injektionen.
Am besten wurden multimodale Therapien bewertet.
Multimodale Therapien
Mehr als ein Therapieverfahren
Bei solch komplexen Beschwerden wie dem Vulvodyniesyndrom sind Einzelmaßnahmen oft wenig erfolgreich. Das ist keine Besonderheit dieser Schmerzerkrankung. Auch bei anderen funktionellen Beschwerden wird in der Regel auf ein umfassendes Therapiekonzept gesetzt, das aus mehreren Bausteinen besteht. Meist ist das neben Medikamenten: Psychotherapie, Physiotherapie, Training und Selbsthilfe.
Auch bei Vulvodynie ist es - zumindest bei längerer Verlauf oder stärkeren Beschwerden - notwenig solche multimodalen Therapien einzusetzen. Prof. Mendling (FRAUENARZT 5 (2014) Nr. 5 und 55 (2014) Nr. 6) sagt es so: „Die multimodale Schmerztherapie, die bei Fibromyagie beschrieben ist, aber auch bei Vulvodynie/Vestibulodynie angewendet werden soll, bedarf der interdisziplinären Zusammenarbeit des Gynäkologen mit mindestens einem Psychiater, Psychologen oder Psychosomatiker und muss mindestens gleichzeitig drei der folgenden Therapieverfahren beinhalten: Psychotherapie, spezielle Physiotherapie, Entspannungsverfahren, Ergotherapie, medizinische Trainingstherapie, sensomotorisches Training, Arbeitsplatztraining, Kunst- und Musiktherapie oder sonstige übende Therapien sowie Biofeedbacktherapie“.
Was hilft jenseits von Cremes und Tabletten?
Aus unserer Sicht geht es darum, den Sensitivierungsprozess wieder rückgängig zu machen. Dabei – das zeigen die Forschungsergebnisse auch aus anderen Gebieten – spielt eine Überempfindlichkeit der Reizverarbeitung des kompletten Nervensystems eine Rolle:
- Erhöhte Sensibilität Rezeptoren der Schleimhaut
- Leichte Entzündungsaktivität der Schleimhaut
- Vermehrte Weiterleitung im Rückenmark
- Verstärkte Weiterleitung im Stammhirn
- Erhöhte Aufmerksamkeit im somatosensorischen Kortex (dort werden die Reize wahrgenommen)
Dazu kommen Angst und Anspannung, Schlafstörungen und weitere funktionelle Beschwerden. Besonders ungünstig wirken sich Reizdarm- und Reizblasenbeschwerden oder Schwellungen (Ödeme) im Bereich des Beckenbodens aus, da so die regionalen Nerven des Beckens zusätzlich irritiert werden.
Falscher Alarm
Wesentlich für die Therapie ist die Tatsache, dass es nicht möglich ist, bewusst zu beschließen, Schmerzen zu ignorieren. Zwar ist es typisch, dass in Phasen der Ablenkung oder während akutem Stress die Beschwerden nachlassen. Doch danach kehren (meist stärker) zurück.
Wenn die Symptomatik seit längerer Zeit besteht, dann erwartet der Körper aus dieser Region nichts Gutes und achtet peinlich genau auf jedes Signal, das aus dem Gebiet des Beckenbodens kommt. Es wird mir Vorfahrt zum Bewusstsein transportiert. Das ist grundsätzlich nicht schlecht gemeint, da der Körper – irrigerweise – davon ausgeht: Hier droht Gefahr!
Fatale Schonung
Die meisten betroffenen Frauen finden im Laufe der Zeit heraus, dass vor allem ein Weg sie von den hartnäckigen Beschwerden schützt: Schonung und Vermeidung von Reizen. Wenn keine – oder möglichst wenige - Reize vorhanden sind, dann kann auch nur wenig im Gehirn ankommen.
Doch so verständlich und sinnhaft dieses Vorgehen auf den ersten Blick aussieht. Es hat eine fatale Konsequenz: Die Reizschwelle geht damit weiter nach unten, die Sensibilität nimmt zu. Je mehr Reize gemieden werden, desto empfindlicher wird die Region. Dieser Prozess wird manchmal auch als „Schmerzgedächtnis“ bezeichnet.
Doch wie kann ein Ausweg aussehen, wenn jeder kleinste Reiz Beschwerden auslöst und durch Meidung von Reizen die Symptome langfristig sogar schlechter werden?
Wir haben lange gebraucht, eine sinnvolle Antwort zu finden. Sie lautet: Dass Nervensystem muss erfahren, dass Signale nicht bedrohlich sind und die erhöhte Aufmerksamkeit daher nicht notwendig ist.
Wenn Reize aus dem Bereich der Vulva wiederholt mit dem Gefühl der Entspannung und Sicherheit gekoppelt werden, geht das Nervensystem langsam aus dem permanenten Alarmzustand heraus. Je häufiger Signale als nicht bedrohlich oder sogar als angenehm eingeschätzt werden, desto eher werden sie wieder ausgeblendet. Die Reizschwelle steigt an.
Gestufte Desensitivierung
Diese grundsätzlichen Überlegungen gelten für viele regionale Schmerzsyndrome. Und auch bei generalisierten Schmerzen (wie Fibromyalgie) sind diese Prozesse entscheidend.
Bei Vulvodynie verbietet sich aus nahe liegenden Gründen eine direkte Berührung durch die Therapeutin. Oft ist das Gebiet auch so sensibel, dass kleinste Reize bereits Brennen/Schmerzen auslösen.
Wie versuchen daher auf „Umwegen“ ans Ziel zu gelangen. Die erhöhte Sensibilität ist in den meisten Fällen ja nicht nur im Bereich der Vulva vorhanden. Sie lässt sich in der Regel auch in anderen Körperregionen, im Bereich des Magen-Darm-Traktes, in der Wärme-Kälte-Wahrnehmung oder in anderer Form feststellen.
Wir beginnen daher erst einmal den Körper zu behandeln. Durch sanfte Massagen des Rückens oder Nackens, durch Wärme, Entspannungsverfahren, Atemtherapie, Schlafhygiene, Ernährungsumstellung und anderen Verfahren, die fast in die Kategorie „Wellness“ fallen, wird die allgemeine Anspannung und Reizüberempfindlichkeit gesenkt.
In einem zweiten Schritt kommen auch abhärtende Verfahren zum Einsatz. Der Körper soll erfahren, dass auch kräftigere Reize keineswegs bedrohlich sind.
Schließlich werden indirekte Reize im Bereich des Beckenbodens gesetzt: Vibrationsreize auf der Vibrationsplatte, Beckenbodengymnastik und ähnliche Verfahren sagen den dortigen Nerven: „Hier sind zwar Reize, aber sie sind nicht gefährlich!“
Dabei kommt es nicht unbedingt auf die Länge der Therapie an sondern die Anzahl der Wiederholungen. Das Nervensystem muss immer wieder erfahren: „Diese Reize sind nicht bedrohlich!“
Je umfassender diese Erfahrung ist, desto wirksamer die Therapie. Wenn als die Druck- und Berührungssensoren, die Wärme- und Kältesensoren, die Muskelnerven, die Nerven des Magen-Darm-Traktes und der Blase alle die gleiche positive Erfahrung machen, dann stellt sich im Körper ein neuer Zustand ein: Die Reizschwelle geht nach oben.
Wir behandeln in der Regel kurz aber sehr intensiv. Das bedeutet, dass wir über zwei Wochen eine Fülle von Anwendungen durchführen. Anfangs kann das anstrengend sein auch wenn die Einzelanwendungen sehr angenehm sind. Der Hintergrund: tägliche Therapien über zwei Wochen haben sich als deutlich wirksamer erwiesen als eine Therapiesitzung pro Woche über 3 Monate.
Dazu kommen Maßnahmen zur Verbesserung des Schlafes, des Magen-Darm-Traktes, der Entspannung und Atmung bzw. Anwendungen nach Einzelfall.
In sehr vielen Fällen lässt so der Schmerz innerhalb kurzer Zeit nach. Wie weit wir in zwei Wochen kommen hängt natürlich vom Einzelfall ab: Wie ausgeprägt sind die Beschwerden? Welche weiteren Symptome sind noch vorhanden? Wie stark ist die innere Verunsicherung?
Wir vermitteln unseren Patientinnen in dieser Zeit gleichzeitig auch das Rüstzeug, wie sie mit Selbsthilfe weiter verfahren können. Ziel ist die möglichst große Autonomie, d.h. ohne professionelle Hilfe selbst mit den Beschwerden zu recht zu kommen.
Mit 12 Tagen Therapie ist in der Regel keine Schmerzfreiheit zu erreichen. Dennoch sehen wir sehr erfreuliche Entwicklungen insbesondere bei den starken Schmerzen. Diese reduzierten sich erheblich von 55% auf 14% der Betroffenen! (Schmerzstärken VAS 7-10). Noch deutlicher war der Fortschritt bei der stärksten Schmerzstufe "10". Die ging von 26% auf 3% zurück.
Selbsthilfe
Ein Vulvodyniesyndrom belastet nicht nur wegen der Schmerzen sondern auch durch die Hilflosigkeit, die damit verbunden ist. Wenn weder Schmerzmittel noch Therapieverfahren durch Spezialisten eine Erleichterung der Symptomatik bewirkt, dann empfinden viele Betroffene vor allem das Ausgeliefertsein als besonders quälend.
Daher ist uns die Vermittlung von Selbsthilfeverfahren wichtig, mit denen eine fühlbare Erleichterung erzielt werden kann. Sobald betroffene Frauen den Eindruck haben, sie können wirklich selbst etwas erreichen, lässt die Angst und Anspannung nach und damit ist in der Regel auch ein Nachlassen von Schmerz/Brennen verbunden.
Wir haben in den letzten Jahren eine Reihe von Verfahren erprobt. Eine Zeitlang haben wir Biofeedback mit lokaler elektrischer Stimulation eingesetzt. Allerdings sind wir davon eher wieder abgekommen, da der Elektroreiz für viele Frauen als unangenehm und bedrohlich wirkte und damit die Sensibilisierung verstärkte.
Wirksam fanden wir dagegen die gezielte Anleitung zu einem Beckenbodentraining, das zuhause geübt werden kann. Unsere Physiotherapeutinnen erklären dabei die einzelnen Übungen ausführlich.
Sehr hilfreich ist der Einsatz von Vaginaldilatatoren, die wir unseren Patientinnen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnen (wir haben solche Sets vorrätig). Dieses Training kann dann (ausschließlich zuhause) täglich durchgeführt werden. Viele Frauen sind überrascht wie unproblematisch dieses Training abläuft.
Ein weiteres Selbsthilfeverfahren ist die Atemtherapie. Hier leiten wir mit Übungen und mit einem Kohlendioxid-gesteuerten Biofeedback an. Diese Übungen werden von vielen Patientinnen als zentral für den Therapiefortschritt bezeichnet und können zuhause weiter durchgeführt werden.
Weitere Elemente können Bewegungsübungen, z.B. Trampolin, sein, um den Beckenboden wieder schrittweise zu belasten.
In aller Regel haben unsere Patienten am Ende jeder Therapie ein ganzes Set von Verfahren mit dem sie dann zuhause weiter üben können.
Videos Betroffene
Bitte beachten Sie die wichtigen Hinweise, die für alle Videos von Betroffenen gelten.