Atemnot, Beklemmung und Panik
Das akute und chronische Hyperventilationssyndrom
Die Symptome unterscheiden sich erheblich und dennoch gibt es eine gemeinsame Ursache: Veränderungen der Atmung.
Während das akute Hyperventilationssyndrom ein hochakutes Beschwerdebild (Luftnot, Angst, Herzrasen, Schwindel, Panik) darstellt, wird das chronische Hyperventilationssyndrom oft übersehen. Es zeigt sich meist nur indirekt und oft erst nach jahrelangen Beschwerden. Doch sind die Konsequenzen für die Lebensqualität manchmal noch deutlich gravierender und führen häufig zu schweren Beeinträchtigungen bis hin zur Berentung.
Neu:
Hinweis
Die akute und chronische Hyperventilation sind Teil der funktionellen Atemstörungen. Daher finden Sie weitere Informationen auch unter dem Stichtwort "Atemstörung" auf diesen Seiten.
Grundlagen und Einführung
Die Atmung spielt im Leben eine unvergleichliche Rolle. Ohne Essen können wir Wochen überleben, ohne Trinken geht das Tage lang, aber ohne die Atmung bleibt uns – ganz wörtlich – nach 3-4 Minuten die Luft weg.
Bei der Atmung nehmen wir Sauerstoff auf und geben Kohlendioxid ab. Wir sprechen von einer „Verbrennung“, und tatsächlich macht jeder Ofen nichts anderes: Er verbrennt einen Brennstoff mit Hilfe von Sauerstoff und gibt dafür Kohlendioxid und Wasser ab. Was dem Ofen Holz, Kohle oder Öl ist, das sind für uns Kohlenhydrate, Eiweiß und Fett.
Die Regulation dieses Prozesses ist in unserem Körper fein geregelt. Die Sauerstoffkonzentration des Blutes liegt bei Gesunden unter normalen Umständen (keine Lungenerkrankung, keine extremen Höhen) bei fast 100% des maximal möglichen Wertes. Der Kohlendioxidgehalt liegt bei ca. 40 mmHg (= mm Quecksilbersäule).
Wie atmen Sie jetzt gerade?
Wenn Sie gerade diese Zeilen lesen, werden Sie wahrscheinlich ruhig an Ihrem Computer sitzen. Sie brauchen Energie; dementsprechend benötigen Sie auch wenig Sauerstoff und geben wenig Kohlendioxid ab. Kurz: Ihre Atmung ist ruhig und wahrscheinlich auch regelmäßig.
In solch einem Fall wird Ihre Atemfrequenz etwa zwischen 12 und 15 Zügen pro Minute betragen. Bei Kindern und Jugendlichen ist sie deutlich schneller. Je nach Alter liegt hier die Ruhefrequenz bei 20-30 Atemzügen.
Doch diese Normwerte können täuschen. Manche Menschen können ihre Ruheatmung auf wenige Atemzüge absenken. 3-4 Züge pro Minute oder weniger sind bei tiefer Entspannung möglich.
Anders ist es, wenn Sie Sport treiben oder Treppen hinauflaufen. Nun atmen Sie rasch, um viel Sauerstoff über das Blut zu den Muskeln zu transportieren. Die „Abgase“, das Kohlendioxid, werden sie im gleichen Atemzug wieder los – ziemlich praktisch!
Unbewusste Vollautomatik
Die Atemregulation ist hochgradig automatisiert; wir brauchen uns darüber keine Gedanken zu machen. Schon wenn wir uns auf eine Aktion vorbereiten, atmen wir ein wenig schneller und stellen uns damit unbewusst auf den erhöhten Bedarf an Sauerstoff ein.
Besonders gut kann man dies bei Sportlern, z.B. Gewichthebern, beobachten, die vor dem entscheidenden Versuch einige Male tief durchatmen und dann „zur Tat schreiten“. Ähnlich verhalten sich Sprinter in den Startlöchern, usw.
Aus medizinischer Sicht ist das sinnvoll, da die Sportler sich so auf den erhöhten Bedarf an Sauerstoff vorbereitet und schon prophylaktisch ein wenig Kohlendioxid abgeatmet haben. Es ist ein bewährter Reflex, der völlig automatisch abläuft.
Die Folge: Unsere Atmung nehmen wir nicht wahr. Selbst sehr auffällige Atmung (dauernde Mundatmung, zu schnelle Atmung) bleibt den Betroffenen meist verborgen.
Einteilung
In der Vergangenheit wurde davon ausgegangen, dass die Hyperventilation und Atemstörung gleichbedeutend ist. Tatsächlich sind die akute und chronische Hyperventilation die häufigsten Formen der sog. „dysfunktionellen Atmung“ auch wenn exakte Zahlen fehlen.
Typische Leitsymptome sind Atemnot, Lufthunger und Kurzatmigkeit ohne organische Ursache.
Es gibt verschiedene Einteilungsversuche. Boulding et. al. schlagen 5 Typen vor, die hier kurz dargestellt werden. Tatsächlich überlagern sich die Phänomene. Vor allem die chronische Hyperventilation findet sich häufig auch bei den anderen Formen der Atemstörung.
Doch gibt es derzeit noch keinen "Goldstandard" bezüglich der Einteilung. Auch andere Unterscheidungen können sinnvoll sein.Tatsächlich sehen wir mehr oder minder ausgeprägte Veränderungen der Atmung bei vielen, wenn nicht den meisten funktionellen Störungen.
Die Hyperventilation ist im folgenden ausführlich dargestellt. Eine besondere Form der Hyperventilation tritt beim Aufrichten aus dem Liegen auf. Sie wird als posturale (= lageabhängig) Hyperventilation bezeichnet. Meist ist sie begleitet von schnellem Herzschlag im Stehen, was posturale Tachykardie genannt wird. Dazu eine umfangreiche Darstellung.
Gehäuftes Seufzen und (oft begleitend) Gähnen ist ein schwer zu beschreibendes Phänomen. Es kann neben dem normalen gelegentlichen Seufzen bis zu unentwegt auftreten (jede Minute) und ein äußerst quälender Zustand sein. Die Betroffenen leiden unter beständiger Atembeklemmung und haben das Gefühl nicht richtig durchatmen zu können.
Verstärkte Brustatmung
Verstärkte Brustatmung findet sich bei körperlichen Erkrankungen wie Herzerkrankungen, COPD, Zwerchfellhochstand und auch bei sehr übergewichtigen Menschen. Allerdings kann es auch - häufig - als rein funktionelles (Stress-) Symptom auftreten.
Verstärkte Bauchpresse
Wenig bekannt ist das Phänomen der verstärkten Bauchpresse. Die Luft wird mit Kraft aktiv herausgetrieben. Bei der normalen Atmung ist das Ausatmen ein passiver Prozess. Nur die Einatmung wird aktiv vorgenommen. Diese verstärkte Bauchpresse kann bei Lungenerkrankungen vorkommen ist jedoch auch als funktionelle Störung beschrieben. Wir haben Patienten gesehen, die auf diese Weise ohne Sport veritable Sixpacks entwickelt haben.
Paradoxe Atmung & Co.
Fehlende Synchronisierung der Atmung ist ein weiteres Störungsbild. Normalerweise weitete sich der Bauch bei Einatmung und wird bei der Ausatmung flacher. Dies kann jedoch auch genau umgekehrt sein und wird dann als „paradoxe Atmung“ bezeichnet. Neben dieser Extremform gibt es weitere Formen von fehlender Synchronisierung der Atmung.
Normale Atmung
Automatisch
Die Atemregulation ist hochgradig automatisiert, wir brauchen uns darüber keine Gedanken zu machen. Schon wenn wir uns auf eine Aktion vorbereiten, atmen wir ein wenig schneller und stellen uns damit unbewusst auf den erhöhten Bedarf an Sauerstoff ein.
Besonders gut kann man dies bei Sportlern, z.B. Gewichthebern, beobachten, die vor dem entscheidenden Versuch einige Male tief durchatmen und dann „zur Tat schreiten“. Ähnlich verhalten sich Sprinter in den Startlöchern, usw.
Aus medizinischer Sicht ist das sinnvoll, da die Sportler sich so auf den erhöhten Bedarf an Sauerstoff vorbereitet und schon prophylaktisch ein wenig Kohlendioxid abgeatmet haben. Es ist ein bewährter Reflex, der völlig automatisch abläuft.
Zentral: Kohlendioxid
Die meisten Menschen vermuten, der Sauerstoffgehalt des Blutes müsste entscheidend für den Atemantrieb sein. Doch das ist nicht der Fall. Im Regelfall entscheidet die Produktion von Kohlendioxid, ob wir viel oder wenig atmen.
Eine weiterer wichtiger Faktor ist der Säuregehalt des Blutes (pH-Wert). Je saurer das Blut ist (niedriger pH-Wert) desto schneller wird die Atmung. Durch schnelles Atmen wird mehr CO2 abgegeben, was zu einem Absinken des Kohlensäurespiegels im Blut führt. Weniger Kohlensäure bedeutet: der pH-Wert geht auf die Norm zurück (pH 7,38-7,42).
Die entsprechenden Rezeptoren für die Blutgase sitzen in der Halsschlagader (in der Nähe der Teilungsstelle der Arteria Carotis) und in der Aorta am sog. Aortenbogen. Außerdem gibt es Sensoren im Hirnstamm. Gleich in dessen Nähe (Medulla oblongata und Pons) befindet sich auch das Atemzentrum, das die Atemtätigkeit steuert.
Reflektorische Regelung
Doch genau dieser Reflex kann auch Probleme bereiten. Er läuft nämlich auch bei seelischer Anspannung ab, bei der wir uns hinterher nicht besonders bewegen.
Wer sich über etwas aufregt, ärgert oder sich ängstigt, hat hinterher oft keine Gelegenheit, zu laufen oder seinen Gegner körperlich zu attackieren. Es wäre auch in vielen Arbeitssituationen recht merkwürdig, wenn man nach einem unangenehmen Telefongespräch in die Luft boxt oder im Büro hin und her läuft.
Der uralte Atemreflex setzt jedoch genau so ein, als ob wir vor einem Tiger davonlaufen oder einen Gegner attackieren müssten. Kurz: wir atmen zu schnell, was uns in der Regel nicht bewusst ist, da diese rasche Atmung durchaus adäquat zur inneren Spannung ist.
Das Abgas regelt den pH
Nun kommt es zu einem Ungleichgewicht der Atemgase. Dabei ändert sich die Sauerstoffkonzentration nur unwesentlich, da sie sowieso im Bereich des theoretischen Maximums ist.
Anders die Konzentration des Kohlendioxids. Sie fällt ab und erreicht 35 mm Hg und weniger, also deutlich niedriger als normal. Man mag einwenden, es sei doch nur gut, das unerwünschte Gas loszuwerden. Doch so einfach ist das nicht.
Unser Körper braucht eine Basiskonzentration dieses Gases, sonst verändert sich das Säure-Basen-Gleichgewicht (pH) des Körpers. Mit zu wenig Kohlendioxid wird das Blut zu alkalisch (= basisch, das Gegenteil von sauer). Das hat vielfältige Auswirkungen auf andere Körperfunktionen.
Vor allem vermindert sich die Menge des frei verfügbaren Kalziums im Blut. Seine Konzentration kann sich so um bis zu 50% vermindern. Da Kalzium für Nerven- und Muskeltätigkeit wesentlich ist, zeigen sich hier die stärksten Veränderungen. Im Wesentlichen kommt es zu einer allgemeinen Übererregbarkeit der Nerven und einer Verkrampfung der Muskulatur.
Akute Hyperventilation
Hochakut und hochdramatisch
Bei der akuten Hyperventilation steht vor allem die abgrundtiefe Angst im Vordergrund. Die Betroffenen haben den Eindruck, sie stünden unmittelbar vor dem eigenen Tod. Es ist oft eine Kombination aus Angst vor dem Umfallen, Ersticken oder einem Herzinfarkt. Gleichzeitig besteht meist das Gefühl, vollständig hilflos zu sein.
Das schnelle Atmen wird meist nicht wahrgenommen. Es dominiert das Gefühl der Atemnot und der Angst vor dem Ersticken.
Häufig beginnen die Symptome mit einem Kribbeln (Ameisenlaufen) in den Fingern, Zehen und im Mundbereich. Gleichzeitig stellen sich Gefühllosigkeit, Zittern und Muskelschmerzen ein.
Später kommt es dann zu Krämpfen der Muskulatur. Meist beginnt dies an den kleinen Fingern beider Hände („Pfötchenstellung“), später kommt es zu einem Anziehen der Arme, Strecken der Beine und einer Verkrampfung der Rückenmuskeln. Im Extremfall können Krampfanfall ähnliche Zustände eintreten – jedoch meist keine vollständige Bewusstlosigkeit.
In der Regel geht eine akute Hyperventilation mit Panikgefühlen einher.
Elektrolyte und Durchblutungsstörungen
Der akute Hyperventilationsanfall ist auch biologisch ein dramatisches Ereignis. Die Atmung steigert sich bis auf 500% der Norm. Gleichzeitig fällt der Spiegel von Kalium, Magnesium und Kalzium deutlich ab. Dies führt zur einer allgemeinen Übererregbarkeit der Nerven. Welche Beschwerden nun auftauchen, hängt vom individuellen „wunden Punkt“ ab.
Mit dem Abfall des CO2 Spiegels wird gleichzeitig die Hirndurchblutung vermindert. Kopfdruck oder Kopfschmerzen sind die Folge.
Schwindel, Benommenheit, „Mattscheibe“, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Wetterfühligkeit, Schwitzen, Frieren, kalte Hände und Füße, Harndrang, auch das prämenstruelle Syndrom werden durch einen erniedrigten CO2-Spiegel verstärkt.
Die bei der Hyperventilation auftretenden Schmerzen in der linken Brustwand werden von den Betroffenen entweder als stechender Schmerz oder als dumpfes Druckgefühl hinter dem Brustbein oder der linken Brustwand erlebt. Daneben tritt vermehrtes Herzklopfen auf.
Dies hochwahrscheinlich auf einen sog. Koronarspasmus, als eine krampfartige Enge der Herzkranzgefäße zurückzuführen.
Magen-Darm-Beschwerden
Zahlreiche Magen-Darm-Beschwerden können auftreten: Vor allem Übelkeit, Völlegefühl, Magenbeschwerden, Blähungen, vermehrte Darmgeräusche, Durchfall oder andere Beschwerden, die an einen Reizdarm erinnern. Auch ein vermehrtes Luftschlucken (Aerophagie) ist sehr wahrscheinlich.
Atemsymptome
Engegefühl im Brustbereich, Kloßgefühl oder unangenehmes Gefühl im Hals, Beklemmungsgefühl, Gefühl, keine Luft zu bekommen, Gähnen, Seufzen, Reizhusten und zu schnelles Atmen.
Psychische Beschwerden
Innere Unruhe und Anspannung, Angst vor Herzinfarkt, Angst vor Erstickung, Angst umzufallen, Panik.
Chronische Hyperventilation
Während das akute Hyperventilationssyndrom noch relativ leicht zu erkennen ist (subjektive Atemnot, verstärkte Atmung, starke Angst, Herzklopfen), ist das beim chronischen Hyperventilationssyndrom weitaus schwieriger. Auch hier liegt eine beschleunigte Atmung vor, doch ist sie nur gering verstärkt. Von außen ist das schnelle Atmen praktisch nicht erkennbar und auch die Betroffenen nehmen es nicht wahr. Der Kohlendioxidspiegel ist nur gering erniedrigt, das Säure-Basen-Gleichgewicht nur leicht verändert, da die Niere in der Lage ist, hier ausgleichend einzuwirken.
Viele Patienten mit chronischer Hyperventilation wissen daher über das Problem wenig oder nichts. Trotzdem liegt bei Ihnen der CO2-Spiegel bereits im entspannten Ruhezustand deutlich unter der Norm, nämlich 35 statt 40 mmHg. Es gibt Hinweise auf eine Abhängigkeit der Katecholamine (Stresshormone) vom CO2-Spiegel, was die Bedeutung der Atmung für verschiedene psychosomatische Störungen nochmals hervorheb
Hintergrund chronische Hyperventilation
Als Leitsymptome des chronisches Hyperventilationssyndroms gelten:
- Schwindel und Benommenheit
- Brustschmerzen
- kalte Hände und Füße
- Müdigkeit
- Schlappheit
- Schläfrigkeit
- Wetterfühligkeit
- Konzentrationsstörungen
- Vergesslichkeit
- Reizbarkeit
- Angespanntheit, ängstliche oder depressive Symptomatik
Auch weitere Beschwerden kommen vor, manchmal die ganze Vielfalt der sog. funktionellen Störungen, deren gemeinsamer Nenner eine Senkung der Reizschwelle ist.
pH-Verschiebung
Beim chronischen Hyperventilationssyndrom ist höchstwahrscheinlich der Bikarbonat-Puffer des Blutes grenzwertig erschöpft sodass bereits eine kurzfristig beschleunigte Atmung zu einer Veränderung pH im Blut führt.
Solche Auslöser können Angst, körperliche Aktivität oder sogar freudige Erregung sein. Für die Betroffenen ist der Zusammenhang oft nicht erkennbar, da bereits wenige Atemzüge zu viel die Symptomatik auslösen können.
Falscher Erstickungsalarm
Die Folge: steigt der CO2-Gehalt des Blutes auf normale Werte, reagiert der Körper als ob Erstickung drohen würde. Atemnot, ein Gefühl der Einengung und noch schnellere Atmung mit den typischen Folgen (akute Hyperventilation) ist die Folge.
Diese Zustand wird auch „falscher Erstickungsalarm“ (englisch: false suffocation alarm) genannt. Hier die wirklich bahnbrechende Arbeit von Donald F. Klein.
Eine der typischen Zeichen: Steigt in einem Raum der CO2-Gehalt der Luft, da sich dort mehrere Menschen aufhalten, löst das bei den Betroffenen sehr früh den Eindruck aus: „Hier muss dringend gelüftet werden“. Sie reagieren übersensibel auf den erhöhten Kohlendioxidgehalt der Luft.
Reizhusten und Belastungsasthma
Der CO2-Wert hat auch eine ausgeprägte Wirkung auf die Bronchien. Je höher der CO2-Spiegel desto stärker entspannt die Bronchialmuskulatur. Umgekehrt führt eine Erniedrigung von Kohlendioxid zu einer Engstellung und Verkrampfung. Gleichzeitig wird die Schleimbildung gefördert.
Die Folge: Die freie Atmung ist behindert, Atemnot die Folge und dies veranlasst die Betroffenen schneller zu Atmen, was zu einer weiteren Absenkung des CO2-Spiegels führt. Ein Teufelskreis.
Bei Asthma bronchiale leidet ein Teil der Patienten offenbar unter einem chronischen Hyperventilationssyndrom mit reduziertem Kohlendioxid-Werten im Blut. Nahe liegender Weise neigen diese Untergruppe auch häufiger unter Angst und Anspannung. Der Anteil der Patienten mit Asthma und erniedrigtem CO2 dürfte erheblich sein, allerdings schwanken die Zahlen in der Literatur erheblich.
Schwindel und Benommenheit
Sehr eng verbunden mit der chronischen Hyperventilation ist eine besondere Art des Schwindels, der als Schwankschwindel oder phobischer (Angst-) Schwankschwindel bezeichnet wird.
Es besteht ein sehr unangenehmer Dauerschwindel bei dem die Betroffenen jedoch mühelos auf einem Bein stehen können. Typisch ist, dass sich bei den Untersuchungen durch den HNO-Arzt oder Neurologen kein Befund ergibt.
Chronische Hyperventilation und die Folgen
Eine der Auslöser: Beinahe Ersticken
Hyperventilation und Erschöpfung
Sehr viele Patienten mit einer chronischen Hyperventilation fühlen sich eigentümlich erschöpft und gleichzeitig innerlich unruhig. Sie haben ein Gefühl der Benommenheit, inneren Unruhe oder "Watte" im Gehirn.
Hyperventilation und Panik
Panikattacken finden sich sehr gehäuft bei oder nach Hyperventilation
Häufigkeit
Nicht selten!
Die Hyperventilation ist kein seltenes Symptom. Es gibt Schätzungen, die von 6-10% aller Patienten in einer internistischen Praxis ausgehen. In einer englischen Landarztstudie fanden sich 10% aller Patienten, die einen auffälligen Befund im Nijmegen-Fragebogen zur Hyperventilation aufwiesen.
Üblicherweise denkt man als Arzt, es seien vor allem Frauen von der Symptomatik betroffen. Doch überraschenderweise neigen beide Geschlechter mehr oder minder gleich zur beschleunigten Atmung. Es könnte jedoch sein, dass vermehrt Frauen den Weg in die Notaufnahme finden.
Sehr viel häufiger nahe liegender Weise Patienten mit Asthma bronchiale betroffen. Hier zeigt jeder Vierte Zeichen einer Hyperventilation.
Im Verlauf des Lebens soll die Häufigkeit der Hyperventilation abnehmen. Doch tatsächlich haben wir sehr viele Menschen jenseits des Rentenalters gesehen, der eine deutlich Hyperventilation zeigen. Oft ist diese gepaart mit chronischer Mundamtung.
Häufig gepaart mit Panik
Die Häufigkeit für Panikattacken wird mit 3-4 % in der Bevölkerung angegeben. Die größte Häufigkeit besteht in der Altersgruppe der 20-30-Jährigen. Frauen sind etwa doppelt so oft wie Männer betroffen.
Fasst man alle Angsterkrankungen zusammen, dann leiden im Laufe des Lebens etwa 15% aller Menschen einmal darunter. Zu einem bestimmten Zeitpunkt sind das immerhin noch 7%, die von einer der verschiedenen Formen der Angststörung betroffen sind (Panikattacken, Agoraphobie, spezifische Phobien, generalisierte Angststörung).
Diagnostik
Diagnostik
In aller Regel erklärt sich eine akute Hyperventilation aus der typischen Symptomatik ohne weitere technische Untersuchung. Bei der körperlichen Untersuchung durch den Arzt fallen die lebhaften Reflexe (s.o.), die bis zu Krämpfen gehen können, und das Zittern (Tremor) besonders ins Auge.
Besteht die Möglichkeit einer Blutgasuntersuchung, so findet sich hier eine Absenkung des Kohlendioxidspiegels und eine Alkalose des Blutes (Blut wird basisch). Diese Untersuchung findet z.B. manchmal beim Lungenfacharzt statt. Dazu muss ein wenig Kapillarblut (z.B. Ohrläppchen) entnommen werden. Nachteil der Untersuchung: Sie ist eine Momentaufnahme. Wenn ein Patient vor längere Zeit im Wartezimmer gesessen ist, dann sind die Werte möglicherweise völlig normal. Bei einer Belastung durch Stress oder auf einem Ergometer würden sich dagegen andere Werte zeigen.
Trotzdem ist die Blutgasanalyse der "Goldstandard, um objektive Werte zu erhalten.
Atemgasanalyse
Atemgasanalyse
Bei der Atemgasanalyse wird der CO2-Gehalt der Ausatemluft überprüft wird. Dieser steht im Gleichgewicht mit dem CO2-Spiegel des Blutes. Diese Messung ist einfach und ohne Blutabnahme möglich. Daher kann sie kontinuierlich sowohl zur Diagnostik als auch zum Atemtraining benutzt werden.
Die Werte liegen geringfügig (3-5 mmHg) unterhalb des Wertes im Blut.
Blutgasanalyse (BGA)
Das Standardverfahren zur Bestimmung einer Abweichung von CO2, Bikarbonat und pH ist die Blutgasanalyse. Dabei wird ein Tropfen Blut aus dem Ohrläppchen oder Fingerbeere gewonnen und danach unmittelbar in einem speziellen Gerät analysiert.
Diese Untersuchung wird z.B. beim Lungenarzt oder in der Notaufnahme von Krankenhäusern durchgeführt.
Zwar sind diese Werte am exaktesten allerdings stellen sie nur eine Momentaufnahme dar. Es kann also sein, dass nach ruhigem Warten auf die Untersuchung die Werte relativ normal sind. Bei Stress oder körperlicher Belastung jedoch nicht.
Wir führen auch diese Untersuchung durch und stellen sie in das Verhältnis zur Atemgasanalyse.
Hyperventilationstest
Oft steht während eines Anfalles kein Arzt zur Verfügung. Die betroffenen Menschen überwinden den Anfall alleine und suchen erst später einen Arzt auf.
In solchen Fällen kann nachträglich ein Hyperventilatonstest durchgeführt werden. Unter der geschützten Umgebung einer Praxis oder Klinik atmet der Patient bis zu 3 Minuten lang ca. 60 Atemzüge pro Minute. In dieser Zeit sollte die Mehrzahl der Symptome auftreten: Kribbeln, Verkrampfung, Schwindel, Sehstörungen, Beklemmungsgefühle, Kloßgefühl im Hals, Herzklopfen und Angst.
Der Versuch ist eher seelisch als körperlich belastend, sollte jedoch nicht bei Asthma bronchiale, schweren Herzerkrankungen oder Gefäßerkrankungen durchgeführt werden. Fragen Sie bitte zuvor Ihren Arzt.
Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, Schwindel, Benommenheit, Kribbeln – eben die typische Hyperventilationssymptomatik.
Schnelle Hilfe
Wir führen den Test häufig in folgender Modifikation durch: Im Anschluss an den Test lassen wir die Patienten rückatmen. Innerhalb kurzer Zeit verfliegt die Symptomatik, was einen zweiten Beweis für eine Hyperventilation darstellt.
Kleine Besonderheiten: Nicht alle Veränderungen ergeben sich aus der Veränderung von Kohlendioxid und dem Säure-Basen-Gleichgewicht. Das Herzklopfen, Zittern und die Angst sind auch durch den erhöhten Ausstoß von Stresshormonen und die seelische Anspannung bedingt.
Besonders die Stresshormone benötigen eine Zeitlang, um wieder abgebaut zu werden. So kann es sein, dass nicht die ganze Symptomatik mit der Rückatmung verschwindet, sondern erst im Verlauf von 30 Minuten bis zu 1½ Stunden, nämlich dann, wenn auch die Stresshormone (Adrenalin, Noradrenalin und Kortison) wieder auf das Ausgangsniveau zurückgegangen sind.
Online Test
Sie können einen Online-Test (Nijmegen-Test) durchführen, bei dem Sie sofort eine Bewertung erhalten, ob bei Ihnen eine Hyperventilation wahrscheinlich ist. Es ist der am meisten verwendete Test in der wissenschaftlichen Literatur zur Diagnostik der Hyperventilation
Kurzfristige Therapie
Bei der Therapie ist es sinnvoll, zwischen den Akutmaßnahmen und der längerfristigen Therapie zu unterscheiden.
Ein einzelner Hyperventilationsanfall/Panikattacke ist in der Regel schnell in den Griff zu bekommen, sofern die Symptomatik richtig erkannt wird. Mit der richtigen Technik ist es meist möglich, die bedrohliche Symptomatik abzufangen. Dies alleine ist für die Betroffenen bereits eine große Hilfe.
Allerdings bleibt nach einem solchen Erlebnis häufig eine tiefe Verunsicherung zurück. Diese führt dann meist zu weiteren Symptomen, die nicht so einfach zu behandeln sind. Es handelt sich dabei etwa um einen hartnäckigen Schwindel, Benommenheit, Schreckhaftigkeit, Ängstlichkeit, Druck auf der Brust, Schluckbeschwerden oder weitere funktionelle Störungen.
In diesen Fällen sind weitere Maßnahmen nötig. In der Regel führen wir dann eine multimodale Therapie durch.
Veraltete Methoden
Während einer Panikattacke mit Hyperventilation wird durch ein äußeres Ereignis ein Teufelskreis ausgelöst. Meist geschieht dies in einer Anspannungssituation; manchmal sind es jedoch banale Situationen wie schnelles Aufrichten oder körperliche Belastungen.
Durch beschleunigte Atmung kommt es zur Verminderung des Kohlendioxidgehaltes im Blut, einer pH-Verschiebung und dem daraus folgenden relativen Kalzium-Mangel des Blutes.
In der Vergangenheit wurde daher versucht den pH-Wert des Blutes mit einer Puffer-Infusion zu neutralisieren. Außerdem gab man Kalzium als Injektion. Beide Methoden sind heute verlassen. Auch die Injektion eines Beruhigungsmittels vom Diazepam-Typ (z.B. „Valium®, Tavor®“) wird heute als veraltet betrachtet.
Die Therapie der Wahl im akuten Anfall ist die seelische Beruhigung und die Rückatemtechnik.
Rückatmung
Bei der Rückatmung versucht man, den Kohlendioxidgehalt des Blutes wieder anzuheben, indem man die eigene verbrauchte Luft wieder einatmet. So reichert sich der Kohlendioxidgehalt des Blutes langsam wieder an.
Dazu kann eine Plastiktüte von ca. einem Liter Inhalt verwendet werden. Dies entspricht dem normalen Atemzug in Ruhe. Nach 4-6 Atemzügen sollte eine Pause eingelegt werden, um den Sauerstoff in der Tüte zu erneuern.
An sich ist die Technik einfach. Dennoch ist es ratsam, sich diese z.B. vom Hausarzt zeigen zu lassen.
Langfristige Therapie
Umstellung der Atmung
Der akute Hyperventilationsanfall benötigt meist nur die einfache Rückatmung. Langfristig liegt die Problematik häufig darin, die Angst vor weiteren Anfällen zu nehmen und mögliche auslösende Beschwerden und Erkrankungen zu behandeln.
Häufig besteht nach einem oder mehreren Hyperventilationsanfällen oder Panikattacken eine ständige Angst vor weiteren solchen als lebensbedrohlich erlebten Zuständen. Ausgerechnet diese Angst führt – unbewusst – zu einer beschleunigten Atmung. Weitere Symptome wie Schwindel, Benommenheit, innere Unruhe und vegetative Symptome kommen häufig hinzu und verstärken die Beschwerden.
Der Körper stellt sich auf diese permanente Anspannung ein. Vermutlich führt dies zu einer dauerhaften Verstellung des Soll-Wertes für CO2 im Stammhirn. Das bedeutet: Die Betroffenen haben den Eindruck, sie atmen völlig normal, doch tatsächlich ist dies immer ein wenig zu schnell.
Kleines Missverständnis: Hyperventilieren als "Therapie"
Änderung des "Sollwertes"
Ein wesentliches Ziel ist die Anhebung des Sollwertes für den CO2-Gehalt des Blutes. Dazu gibt es verschiedene Techniken, die jedoch eines gemeinsam haben: Ein erhöhter CO2-Spiegel wird mit Entspannung und Freiheit von Angst gekoppelt.
Eine ruhige, entspannte Atmung ist einer der Königswege zu innerer Ausgeglichenheit. Wir setzen daher eine Reihe von Atemtherapieverfahren ein, die dann zu Hause weiter geführt werden können.
Eine Besonderheit ist eine Atemtherapie, bei der der Kohlendioxidspiegel direkt gemessen wird. Mit dieser Biofeedback-Methode zeigt ein Gerät unmittelbar den Lernerfolg an.
Weitere Biofeedback-Methoden verbinden die Atmung mit Tönen. Ein Gerät misst, wie schnell der Atem ist, und setzt dies in Musik um. Je ruhiger der Atem, desto angenehmer die Musik. Im Verlauf von wenigen Minuten beruhigt sich so die beschleunigte Atmung.
Oft kommen die Betroffenen am Ende mühelos mit wenigen Atemzügen pro Minute aus.
Zutrauen und Zuversicht
Die dauerhaft beschleunigte Atmung führt sehr häufig zu einem Zustand der inneren Erregung und tiefer Unsicherheit. In einem weiteren Schritt der Therapie wird deshalb versucht, wieder Sicherheit und Wohlbefinden zu vermitteln.
Dazu dienen Gespräche, in denen ein Verständnis für die Symptomatik und deren Entstehung gewonnen wird. Doch darüber hinaus geht es um die sinnliche Erfahrung, dass der Körper sich wieder gut und vital anfühlt. Massagen, Physiotherapie, Bewegung vermitteln Zutrauen und Zuversicht.
Dieser Teil der Therapie spielt aus unserer Sicht eine große Rolle, um schnelle Erfolge zu erzielen.
Rückgewinnung von Autonomie
Wer über längere Zeit durch unerklärliche Beschwerden verunsichert war, zieht sich häufig stark zurück. Viele Betroffene trauen sich nicht mehr an die Orte, an denen sie eine Panikattacke oder eine Hyperventilation erlebt haben. Manche fühlen sich dann ausschließlich zu Hause sicher und gehen nur noch in Begleitung aus dem Haus.
Doch das, was kurzfristig die Angst mindert, macht sie langfristig schlimmer. Daher ist die Rückgewinnung der verlorenen Selbstsicherheit und autonomen Aktivität ein weiterer wichtiger Schritt in der Therapie.
Multimodale Therapie
Hyperventilation und Panikattacken treten selten als isolierte Symptome auf. Meist sind sie mit anderen vegetativen und funktionellen Beschwerden gekoppelt. Sehr häufig ist eine hartnäckige Schwindelsymptomatik. Auch Reizmagen, Reizdarmbeschwerden, Schlafstörungen, Kälteempfindlichkeit und Blutzuckerschwankungen sind oft mit der Symptomatik verbunden.
Für die Betroffenen ist die Vielzahl der Symptome oft verwirrend und beunruhigend. Tatsächlich verbirgt sich dahinter eine gemeinsame Ursache, wie an anderer Stelle dargestellt.
Wir behandeln daher in der Regel nicht nur die Atmung, sondern umfassend mit einer multimodalen Therapie, um Körper, Geist und Seele gleichzeitig anzusprechen.
Zentral: Kapnometer-assistiertes Atemtraining
Bei funktionellen Atemstörungen ist der Kohlendioxid des Blutes in der Regel zu tief. Dies gilt vor allem bei Stress und innerer Anspannung. Das Problem: Den Kohlendioxid-Gehalt Ihres Blutes können Sie nicht wahrnehmen. Es ist ähnlich wie beim Blutdruck. Selbst Menschen, die über Jahre oder Jahrzehnte einen erhöhten Blutdruck haben, merken davon wenig oder gar nichts.
Daher hat die Messung des CO2-Spiegels mit einen sog. Kapnometer (Kapnos = Rauch) für uns eine zentrale Bedeutung. Wir setzen solche Geräte nicht nur diagnostisch sondern auch therapeutisch ein. Bewährt haben sich vor allem Geräte, mit denen der CO2-Gehalt der Atemluft bestimmt wird. Diese korrespondiert mit dem CO2 des Blutes.
Wenn Sie nun während der Atemübungen den CO2-Gehalt der Luft messen, können Sie erkennen, ob Sie die Übungen korrekt durchführen. Es ist nämlich leider so, dass vielfach Atemübungen zwar technisch korrekt durchgeführt werden, jedoch dennoch zu einer höchst unerwünschten Absenkung des CO2-Spiegels führen.
Dauer
Unsere Erfahrung zeigt, dass erst engmaschige und intensive Behandlungen gute Ergebnisse erzielen. Wir führen daher meist eine 1-3wöchige Intensivtherapie durch, während der eine Fülle von Einzel-Maßnahmen zur Anwendung kommt.
Dadurch gelingt es in aller Regel, die Symptomatik wesentlich zu bessern. D.h. die Beschwerden sind dann noch nicht völlig verschwunden, sondern sind – insbesondere in Stress-Situationen – noch fühlbar. Aber die Patienten haben Techniken erworben, mit denen sie ihre Beschwerden selbst in den Griff bekommen können.
Dieses Wissen ist der entscheidende Schritt, um die Hilflosigkeit zu überwinden und selbst wieder zu einem normalen Leben zurückzufinden.
Wir ergänzen diese Therapie vor Ort häufig durch geleitete online-Selbsthilfe, die durch eine App unterstützt wird.
Atem-App
Wir konnten über mehrere Jahre eine App entwickeln, mit der Sie zuhause trainieren können. Diese eignet sich als Ergänzung zu den obigen Maßnahmen oder auch als alleineige Therapie in weniger ausgeprägten Fällen.