Wenn die Atmung urplötzlich stoppt
Kehlkopfkrampf – Vocal Cord Dysfunction (VCD)
Die Symptomatik, die in der Regel als maximale Bedrohung erlebt wird, hat viele Namen. Sie wird als „Stimmritzenkrampf“, „Laryngospasmus“, „Kehlkopfkrampf“, „Glottiskrampf“, „Larynx-Asthma“, „hysterischer Croup“, „Münchhausen Stridor“, „psychogener Stridor“, „brittle asthma“ oder als „funktioneller Laryngospasmus“ bezeichnet.
In letzter Zeit setzte sich die englische Bezeichnung „vocal cord dysfunction“ („Stimmband-Fehlfunktion“) durch.
Sehr häufig führt ein VCD Anfall zu einer Panikattacke und hinterlässt nicht selten eine chronische Atemstörung.
Häufigkeit VCD
Häufigkeit
Die Symptomatik ist nur wenig bekannt, aber sie ist nicht selten. Allerdings gibt es nur wenige konkrete Zahlen. Bei einer Untersuchung von Atemnot bei US-Rekruten soll sie in 15% der Fälle die Ursache darstellen. Beim Einatmen von kalter Luft sollen 5% der US-Olympiateilnehmer eine entsprechende Symptomatik gezeigt haben.
Besonders betroffen sind Menschen, die an Asthma leiden. Etwa ein Drittel der Asthmatiker sollen auch unter VCD-Anfällen leiden. Der Hauptunterschied: Bei Asthma gelingt das Ausatmen nicht; während bei VCD die Luft vor allem nicht eingeatmet werden kann. Gleichzeitig sind bei VCD Asthma-Sprays wirkungslos.
Nimmt man an, dass rund 4% aller Asthmatiker auch eine VCD entwickeln, dann sind rund eine viertel Million Menschen in Deutschland betroffen.
Die Mehrzahl der Betroffenen (ca. 80%) sind Frauen, wie bei anderen Formen der erhöhten Sensibilität.
Ursachen/Hintergrund
Hintergrund
Der Kehlkopf hat vielfältige Aufgaben. Neben dem Sprechen und Singen hat er eine wichtige Schutzfunktion für die Atemwege. Er muss sich rechtzeitig schließen, um die empfindlichen Bronchien und Lungen vor Flüssigkeit, Nahrung oder gefährlichen Gasen zu schützen. Auch beim Sodbrennen (Reflux) verhindert dieser Schutzreflex das Eindringen der Magensäure in die Atemwege.
Der vollständige Schutzreflex wird als „Laryngospasmus“ bezeichnet. Er verschließt die Atemwege vollständig. Nichts geht hinein, nichts heraus. Sinnvollerweise dauert er aber nur wenige Sekunden an, dann löst sich der Krampf automatisch und die Luft strömt wieder frei. Eine lebensrettende Einrichtung des Körpers!
VCD unterscheidet sich vom „Laryngospasmus“ vor allem durch die Dauer und die Vollständigkeit des Verschlusses. VCD dauert länger (zwischen 30 Sekunden bis wenigen Minuten) und gleichzeitig strömt noch eine geringe Menge Luft durch den Kehlkopf, da dieser nicht vollständig verschlossen ist.
Während sich die Stimmritzen beim Einatmen normalerweise weit öffnen, damit die Luft frei in die Lungen strömen kann, verschließen sie sich bei VCD fast vollständig, es bleibt nur ein kleiner rautenförmiger Spalt offen. Wegen dieses Fehlverhaltens wird auch von einem „paradoxen“ Verhalten der Stimmlippen gesprochen. Eigentlich sollten sie sich ja beim Einatmen öffnen.
VCD kann als eine gesteigerte Reagibilität des Kehlkopfes verstanden werden. Der Kehlkopf tut das Richtige (das Bronchialsystem schützen), aber leider zur falschen Zeit bzw. zu stark, zu früh oder auf die falschen Auslöser hin.
Auslöser
Verschlucken & Co
Ausgelöst wird ein VCD-Anfall häufig durch äußere Reize:
- Verschlucken, Aspiration
- Husten
- Einatmen von Wasser (-tröpfchen)
- Infektionen, z.B. Sinusitis
- Inhalieren von reizenden Substanzen (z.B. ätherische Dampfinhalation bei Erkältungserkrankungen), Parfüm, Reinigungsmittel
- Nach körperlicher Anstrengung
- Einatmen von kalter Luft
- Psychische Belastungen
Mehrere Auslöser
Meist liegen mehrere Faktoren gleichzeitig vor. Etwa eine erhöhte allgemeine Sensibilität, Schlafmangel, Infektionen, ein Asthma-Erkrankung und ein bestimmter Auslöser (Husten, Verschlucken).
Die Symptomatik wird nach kurzer Zeit ganz von der Angst oder Panik dominiert. Die Betroffenen haben den Eindruck, unmittelbar vor dem eigenen Tod zu stehen. Dementsprechend sind Herzjagen, Schweißausbrüche und Zittern typische Begleitsymptome.
Die Angst veranlasst, so heftig wie möglich nach Luft zu ringen. Durch den Sog der Lunge verstärkt sich jedoch der Krampf der Stimmlippen und es kann zu einer zusätzlichen Schwellung kommen. Kurz: Angst und Krampf verstärken sich gegenseitig.
Diagnose
Wichtige Fragen
Entscheidend für die Diagnose ist die genaue Anamnese-Erhebung, da kaum je ein Arzt während eines Anfalles anwesend sein wird.
Hier die wichtigsten Fragen:
- Begann die Atemnot plötzlich, innerhalb weniger Atemzüge?
- War die Einatmung behindert?
- War das Engegefühl im Halsbereich?
- War es eine ausgeprägte, lebensbedrohlich erlebte Atemnot?
- Waren Asthmamittel wirkungslos?
- Hat Husten den Anfall ausgelöst?
- Hat sich alles nach kurzer Zeit (spätestens nach 2 min.) normalisiert?
Je mehr Fragen mit „Ja“ beantwortet wurden, desto wahrscheinlicher ist eine VCD.
Technische Untersuchungen
Ergänzend können noch Lungenfunktionstestungen und endoskopische Untersuchungen durch den HNO-Arzt durchgeführt werden, die weitere Hinweise geben. (Am sichersten wäre die Untersuchung während des Anfalles, aber dies ist aus naheliegenden Gründen schlecht möglich).
Natürlich ist eine weitergehende Untersuchung notwendig, bei der organische Ursachen, u.a. Asthma bronchiale, entzündliche Veränderungen, Nervenerkrankungen oder anderen Erkrankungen ausgeschlossen werden.
Therapie
Allgemeinmaßnahmen
Wir erwähnt sind die üblichen Medikamente (z.B. Asthma-Medikamente oder Kortison) wirkungslos. Auch Beruhigungsmittel wirken nicht schnell genug. Zwar würde eine Kurzzeitnarkose zum Erfolg führen, sie setzt jedoch einen Notarzt inklusive Intubation und Beatmungsmöglichkeiten voraus. Beides ist recht unwahrscheinlich und auch unnötig.
An erster Stelle aller Therapiemaßnahmen steht dagegen die Aufklärung. Die Beschwerden sind trotz der bedrohlichen Symptomatik in aller Regel nicht gefährlich! Nach kurzer Zeit klingt die Atemnot auch ohne Therapie folgenlos ab. Im Extremfall mag es zur Bewusstlosigkeit kommen. Doch spätestens dann löst sich der quälende Schutzreflex.
Das Wissen um die „Harmlosigkeit“ ist hilfreich, da so der Teufelskreis aus (Todes-) Angst und Verkrampfung begrenzt werden kann.
Grundsätzlich muss zwischen der Therapie im Anfall und der langfristigen vorbeugenden Therapie unterschieden werden.
Keep cool!
Erste Regel im Anfall: Ruhe bewahren! Natürlich ist das leicht gesagt. Wer würde nicht Angst bekommen, wenn die Luft plötzlich wegbleibt? Doch je ruhiger der Betreffende bleibt, je mehr es gelingt, sich an frühere Erfolge zu erinnern, je weniger man in die Panik kommt, desto schneller geht ein Anfall vorbei.
Allgemeine Atemtechniken
Daneben sind geeignete Atemtechniken im Anfall hilfreich.
- Gähnendes Einatmen: Mit geschlossenem Mund wird gegähnt und gleichzeitig durch die Nase eingeatmet.
- Lippenbremse: Insbesondere wenn auch das Ausatmen behindert ist, sollte man versuchen, gegen die leicht geschlossenen Lippen die Luft herauszublasen. Es ist auch einen Versuch wert, gegen die leicht geschlossenen Lippen die Luft einzusaugen. Dabei soll ein deutlich hörbares Strömungsgeräusch entstehen.
- Husten kontrollieren: Durch das Husten kann VCD ausgelöst oder verstärkt werden. Daher gilt es den Hustenreiz zu vermindern. Dies kann durch ruhiges Atmen durch die Nase versucht werden. Weitere Möglichkeiten bestehen in der Hechelatmung („wie ein Hund“) oder – falls möglich – zu trinken, zu schlucken oder ein Hustenbonbon zu lutschen.
- Durch eine geeignete Sitzposition mit Aufstützen der Arme auf einem Tisch oder im sog. Kutschersitz, bei dem die angewinkelten Unterarme auf den Oberschenkeln abgestützt werden, kann die Atmung erleichtert werden.
Natürlich müssen diese Atemtechniken außerhalb der Anfälle geübt werden, damit sie dann zur Verfügung stehen.
Druckerhöhung
Durch eine Erhöhung des Luftdruckes im Mundraum strömt leichter Luft in die Lungen. Dies ist z.B. durch ein handelsübliches CPAP-Gerät („continuous positive airway pressure“), das zur Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe eingesetzt wird. Es funktioniert wie ein „umgedrehter“ Staubsauger.
In der Regel wird man auch ein solches Gerät während eines Anfalles nicht greifbar haben. In diesem Fall wäre noch die altbewährte Mund-zu-Mund Beatmung denkbar, die gleichfalls den Luftdruck und damit die Strömungsgeschwindigkeit erhöht.
Doch auch die Mund-zu-Mund-Beatmung ist nicht ohne Klippen, da erst einmal der Mund verschlossen wird und dies die Angst erhöhen kann.
Falls ein geeigneter Partner zur Verfügung steht (z.B. Ehepartner), empfiehlt es sich, diese Technik einige Male zu üben. – Eine spezielle Erfahrung!
Heliox?
Prompte und zuverlässige Hilfe soll durch das Einatmen eines speziellen Atemgases möglich sein, das aus einer Mischung von Helium und Sauerstoff im Verhältnis 80:20 besteht (sog. „Heliox“-Gas). Dieses wird z.B. beim Tauchen in großen Tiefen eingesetzt. Es hat einen geringeren Strömungswiderstand in den Atemwegen und ermöglicht die effektive Versorgung mit Sauerstoff durch den kleinen Rest-Spalt zwischen den Stimmlippen.
So erfreulich diese Therapiemöglichkeit ist, wird sie kaum jemals praktisch eingesetzt werden können, da eine entsprechende Spezial-Taucherflasche nicht zum richtigen Zeitpunkt zur Hand sein wird.
In Fällen mit sehr häufigen Anfällen ist jedoch zu überlegen, ob als Notfalltherapie eine kleine Gasflasche mit Heliox samt Atemmaske sinnvoll sein könnte. Solche Geräte werden sonst von der Feuerwehr benützt (z.B. Dräger PAS Colt) und müssten etwa von einem Tauchsportverein mit Heliox-Gas gefüllt werden.
Wir haben das gelegentlich versucht, die Ergebnisse waren gemischt.
Überholt/unsinnig
Luftröhrenschnitt, Intubation, Beatmung, Kurzzeitnarkose, Kortison, Asthma-Mittel, Botulinumtoxin („Botox“)
Therapie im Intervall
Ist ein Anfall überstanden, kommt es auf eine langfristig Therapie an, die zum Ziel hat, die Überempfindlichkeit des Schutzreflexes zu dämpfen.
Dabei liegt die Problematik auch in der – verständlichen – Angst, nochmals eine solch bedrohliche Situation zu erleben. Vor allem wenn man sich den Anfall nicht erklären kann, wird die Aufmerksamkeit auf den Kehlkopf gerichtet. Allerdings wird durch diese Fokussierung der Wahrnehmung die Reizschwelle erniedrigt.
Jede leichte Irritation beim Husten oder Schlucken wird intensiver registriert und droht einen erneuten Anfall zu provozieren.
Betroffene können so eine ausgeprägte Angststörung entwickeln. Dauernd leben Sie in der Angst, ein erneuter Anfall könnte der buchstäblich letzte sein. Verunsichernd ist zusätzlich die Wirkungslosigkeit von Medikamenten, z.B. Asthma Sprays.
Treten dann tatsächlich immer häufiger Atemnotanfälle auf, bewahrheitet sich die Befürchtung und der Teufelskreis von Angst, Anspannung und Anfällen dreht sich noch schneller.
Für die Therapie im Intervall kann man unspezifische und spezifische Maßnahmen unterscheiden.
Unspezifische Maßnahmen im Intervall
Zu den unspezifischen (aber wirkungsvollen) Therapien gehört die Reduktion der Angst z.B. durch Aufklärung oder gezielte Psychotherapie, die Anhebung der allgemeinen Reizschwelle („Abhärtung“), Schlafhygiene, Bewegung, Ernährungsoptimierung, Entspannungsverfahren sowie durch allgemeine Stabilisierung. Letztlich sind dies Maßnahmen, wie sie auch bei andern funktionellen Störungen wie z.B. Fibromyalgiesyndrom oder Reizdarmsyndrom indiziert sind.
Alle Therapien zielen darauf, die erhöhte Empfindlichkeit der automatisch ablaufenden Vorgänge zu dämpfen und das vegetative Nervensystem zu stabilisieren.
Spezifische Maßnahmen im Intervall
Bei den spezifischen Therapien versucht man, gezielt auf den Kehlkopf und das umgebende Gewebe einzuwirken. Selbstverständlich müssen an erster Stelle möglicherweise vorhandene anatomische Veränderungen oder Erkrankungen des Kehlkopfes (z.B. Entzündungen) behandelt werden.
Dann geht es um ein Training des Kehlkopfes. Hier macht man sich die umfassenden Erfahrungen zunutze, die im Bereich Sprechtraining, Gesangstraining und Atemtherapie vorhanden sind.
Je nach persönlicher Vorliebe wird man sich für die eine oder andere Therapieform entscheiden, wobei ich selbst eine große Vorliebe für Gesangsunterricht habe, da sie mit dem größten Lustgewinn verbunden ist. Dies gilt auch für sog. unmusikalische Zeitgenossen oder solche, die höchstens in der Badewanne singen.
Spezifische Atemtherapie
Sehr häufig finden wir bei VCD eine Erniedrigung des CO2-Spiegels im Blut (respiratorische Hypokapnie) und Zeichen einer chronischen Hyperventilation. Die Diagnostik ist mit entsprechenden Messgeräten einfach durchzuführen. In diesen Fällen konzentrieren wir die Therapiemaßnahmen auch auf eine Anhebung des Kohlendioxids im Blut, was durch gezielte Atem- und Entspannungsübungen möglich ist.
Gelingt dies, reduziert sich die allgemeine Krampfneigung und damit erscheint dieses Atemtraining als geeignete vorbeugende Maßnahme sehr geeignet zu sein. Hierzu haben wir ein online-Training entwickelt.