Wohlgeruch oder Widerwillen
Geruchsempfindlichkeit - multiple chemische Sensibilität (MCS) - Osmophobie
Schlechte Gerüche stören fast alle Menschen. Allerdings kann es sein, dass die Empfindlichkeit auf Gerüche und Duftstoffe so gesteigert ist, dass daraus ein echtes Leiden entsteht. Dies wird mit unterschiedlichen Begriffen belegt: Hyperosmie, Osmophobie (Geruchsangst), MCS (multiple chemische Sensibilität, idiopathische Umwelt-Unverträglichkeit, chemische Mehrfachempfindlichkeit, multiple-chemical-sensitivity-syndrome und anderen.
Einführungsvideo
Beschwerden
Während der größte Teil der Menschen sich an dem Geruch von gutem Essen, Blumen oder Parfum erfreuen kann, sind intensive Düfte für andere eine Qual. Sie lösen Benommenheit, Kopfschmerzen, Schwindel, Engegefühl, Angst und andere funktionelle Störungen aus.
Diese Menschen leiden an einer Hyperosmie, einer erhöhten Sensibilität gegenüber Gerüchen, die ähnlich beeinträchtigend ist wie Lärm- oder Lichtempfindlichkeit. Nicht selten führt dies zur einer Vermeidung von intensiven Gerüchen. Da Gerüche und Düfte praktisch allgegenwärtig sind, führt dies manchmal zu einem starken sozialen Rückzug und erheblichem Leiden.
Im Vordergrund der Symptomatik steht eine abnorme Empfindlichkeit gegenüber Gerüchen. Sehr stark ist die Sensibilität meist auf Parfüm, Rauch, Chemikalien aller Art (Reinigungsmittel, Lösungsmittel, etc,), Körpergerüchen und Nahrungsmittel. Ebenso kann die Empfindlichkeit der Zunge gesteigert sein: Scharfes, Bitteres oder Saures wird als besonders unangenehm (brennend, Metallgeschmack) empfunden.
Beschwerdeentwicklung
Am Anfang steht häufig eine Exposition mit einem bestimmten unangenehm riechenden oder bedrohlichen Geruch. Nicht selten findet dies in einer emotional belastenden Situation statt. In der Folge kommt es zu einer langsamen Schwellensenkung für diesen Geruch. Immer kleinere Konzentrationen lösen eine Reaktion aus.
Im weiteren Verlauf kommt es zu einer Generalisierung der Empfindlichkeit. Ähnlich riechende Stoffe lösen ebenfalls Beschwerden aus. Im Laufe der Zeit werden die Auslöser immer unspezifischer. Am Ende kann eine erhöhte Sensibilität auf "fast alles“ vorhanden sein.
Primäre Symptome
Wir unterscheiden bei unserer Arbeit primäre von sekundären Symptomen.
Der Geruchssinn dient vor allem dem Schutz. Verdorbene, giftige Nahrungsmittel sind heute ausgesprochen selten, früher war sie jedoch häufig. Die Position der Nase oberhalb des Mundes hat also durchaus einen Sinn! Auch die Warnung vor einem Brand, Moder oder gefährlichen Tieren ging ganz wesentlich über die Nase.
Die primäre Reaktion auf solche Gefahren ist also der Schutz vor der Aufnahme von schlechter Luft oder bedrohlicher Nahrung. Dementsprechend unterscheiden wir atem- von nahrungsbezogenen Symptomen.
Atembezogene Schutzreaktionen: Atembeschwerden, Atemnot, Husten, asthmatische Beschwerden, Juckreiz im Hals, Naselaufen, Augenbrennen, Schwindel, Benommenheit, Beklemmungsgefühle (häufig bedingt durch chronische Hyperventilation).
Nahrungsbezogene Schutzreaktionen: Übelkeit, Erbrechen, Magen- oder Darmschmerzen oder Krämpfe, Völlegefühle, Blähungen, Verstopfung oder Durchfall.
Sekundäre Symptome
Schreitet die Erkrankung fort, kommen weitere Symptome hinzu, die gleichfalls auf die Aktivierung von weiteren Schutzreflexen zurückgeführt werden können.
Ein- und vor allem Durchschlafstörungen, allgemeine Reizempfindlichkeit gegenüber Lärm, Licht, Berührung, Druck, Schmerz, Kälte, Wärme, Vibration. Weitere funktionelle Syndrome wie Reizblasen-Syndrom, Reizdarm-Syndrom, Fibromyalgie-Syndrom, Schwindel und ähnliche werden stark begünstigt.
In deren Folge kommt es zu einer zunehmenden Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Leistungsschwäche, Konzentrationsstörungen bis hin zu CFS-ähnlichen Erschöpfung.
Ausgeliefert sein = Angst
Gerüchen aus dem Weg zu gehen, ist oft schwer, da wir die Nase nicht einfach wie die Augen oder ein Fenster schließen können. Für viele betroffene Menschen ist die Hilflosigkeit, den Gerüchen nicht ausweichen zu können, daher der schwierigste Aspekt der Hyperosmie. Auf Grund der unzureichenden gesetzlichen Regelungen bei der Deklarationspflicht ist es für sie auch kaum möglich, beim Kauf eines Produktes zu erkennen, ob sie zuhause von Duftwolken benebelt werden.
Die meisten Menschen stört die Vielzahl der künstlichen Sinneseindrücke nicht. Im Gegenteil, sie können sich an Musik oder Duft erfreuen und setzen Düfte bewusst als „Aromatherapie“ ein.
Biologische Grundlagen
Die Geruchsnerven sitzen in der Nasenschleimhaut, genauer in der oberen der drei Nasenmuscheln. Im Gegensatz zum Fühlen, Sehen oder Hören sind die Geruchsnerven ein vorgeschobener Hirnteil, sind Teil des Gehirns. Nur durch die dünne, perforierte Siebbein-Platte, durch die die Sinneszellen in den Luftstrom hineinragen, ist dieser Hirnteil vom Nasenraum getrennt.
Der Riechnerv gehört zu den entwicklungsgeschichtlich ältesten Hirnteilen und ist Teil des sog. limbischen Systems, das unsere Gefühle bestimmt.
In jeder der beiden oberen Nasenmuscheln befindet sich jeweils ein etwa 5 Quadratzentimeter umfassender sensibler Bereich (beim Hund das 5fache!). Doch das ist nicht alles: Die Nasenschleimhaut ist gleichzeitig durch den Trigeminus in der gesamten Fläche versorgt. Er ist für die Wahrnehmung von stechenden Gerüchen (Warnsignal!) verantwortlich, z.B. Ammoniak.
Physiologie
Auch wenn wir unser eigenes Geruchsvermögen etwa im Vergleich zum Hund eher gering einschätzen, ist die Leistungsfähigkeit dennoch beachtlich.
- Wir haben etwa 10-20 Millionen Geruchssensoren
- Wir können etwa 10.000 unterschiedliche Gerüche unterscheiden, wobei wir ohne Training etwa die Hälfte benennen können. Durch Training lässt sich diese Quote erheblich steigern (in Richtung 98%).
- Bei Hunden liegt die Geruchsschwelle bei einem Molekül pro mm3 Luft. Bei Menschen ist dies deutlich höher: ab 10.000 Molekülen pro mm3 Luft können wir etwas wahrnehmen.
- Das bedeutet: wir können bereits ein Milligramm Vanille in einem Raum von 10x10x10 Meter Größe wahrnehmen. Und für eine Substanz, die im Knoblauch enthalten ist (Methylmercaptan) liegt die Schwelle noch weit tiefer.
- Moschus riechen wir noch in einer Verdünnung von 1:2 Millionen und beim Schwefelwasserstoff (faule Eier) ist dies nicht viel anders.
Funktion
Der Geruchssinn ist ein Fernsinn. Er vermittelt z.T. über große Entfernung Gefahren, aber auch die Anwesenheit von Nahrung oder Geschlechtspartner.
- Warnfunktion: Warnung vor Bedrohungen allgemein, verdorbenen Lebensmitteln, gefährlichen Inhaltsstoffen der Atemluft, z.B. Brandgeruch, gefährlichen Gasen (Reaktion: Angst, Ekel)
- Hygieneüberwachung
- Abschätzung und Beurteilung der Nahrung und Steuerung der folgenden Verdauungsschritte, z.B. Magensekretion
- Auslösung von Lust-/Unlustgefühlen im sozialen/sexuellen Kontakt
Intimster Sinn
Das Riechen ist von allen Sinnen vielleicht derjenige, der uns am wenigsten bewusst ist. Sehen und Hören scheint in der multimedialen Welt eindeutig vor allen anderen Sinnen zu stehen.
Doch das Riechen ist gleichzeitig unser persönlichster Sinn. Keine andere Sinnesqualität, nicht einmal die Berührung, kann uns so direkt innerlich bewegen. Ein Mensch, der uns „stinkt“, kann noch so liebenswert sein, wir können uns unmöglich mit ihm näher einlassen.
Gerade in unseren intimsten Bedürfnissen spielt der Geruch eine große Rolle. So gibt es starke Hinweise darauf, dass die Partnerwahl von unserem Geruchssinn entscheidend mitbestimmt wird. Wie bekannt dürfen unsere Gene und die unseres Partners nicht zu ähnlich sein, damit wir gesunde Nachkommen haben (Problem der Inzucht). Nun können wir das genetische Potential eines anderen Menschen nicht sehen. Wir können es aber möglicherweise riechen. Menschen, die sich in bestimmten Genen (sog. MHC-Gene) deutlich unterscheiden, riechen für uns besonders angenehm.
Wir riechen nicht nur mit der Nase
Geruch und Geschmack werden Sie wahrscheinlich mit Nase und Zunge verbinden und tatsächlich sitzen dort besonders viele der Chemorezeptoren.
Doch in den letzten Jahren wurde entdeckt, dass die sensiblen Nerven, die wir mit Geruch assoziieren würden, auch in völlig anderen Organen vorhanden sind. Vielleicht ist es noch naheliegend, dass auch der Magen und der Darm Geruchs- und Geschmacksrezeptoren aufweisen. Schließlich sollte auch unser Verdauungstrakt perfekt über die Nahrungsaufnahme informiert sein.
Doch solche Rezeptoren gibt es auch in den Atemwegen, im Gehirn, im Blut und sogar in der Muskulatur. Selbst in den Spermien finden sich die bewussten Zellen.
Was das für Krankheiten bedeutet, ist noch völlig unklar. Wir sehen jedoch sehr häufig, dass bei einer erhöhten Geruchsempfindlichkeit auch andere Formen der Sensibilisierung vorhanden sind. Viele Betroffene klagen über Magen-Darm-Beschwerden, Migräne, asthmatische Beschwerden, Muskelschmerzen und Zeichen einer erhöhten Empfindlichkeit auf Kohlendioxid.
Unterschiedliche Intensität
Die Geruchsüberempfindlichkeit bezieht sich häufig (zumindest anfänglich) auf starke oder emotional besetzte Gerüche. Die intensivsten Gerüche strömen Duftstoffe aus. Es handelt sich um eine chemisch höchst unterschiedlich zusammengesetzte Gruppe von Einzelsubstanzen, die in der Lage sind, die Sinneszellen der Riechschleimhaut besonders intensiv zu erregen.
Solche Duftstoffe sind etwa das bereits erwähnte Moschus, Vanille oder alle Blumendüfte von Lavendel, Rosen oder Geranien. Solche Wohlgerüche waren in der gesamten Menschheitsgeschichte vor allem eines: – selten und teuer! Das hat sich in wenigen Jahrzehnten dramatisch geändert, seit es mit der Produktion von Vanillin erstmals gelang, die begehrten Stoffe chemisch nachzubauen.
Sensitivierung unter Stress
Was führt nun zu einer Senkung der Geruchsschwelle?
Führt man sich die Funktion des Geruchssinnes vor Augen, dann überrascht es nicht, dass Angst und Bedrohungsgefühle uns besser riechen lassen. Bei einer Studie konnte gezeigt werden, dass leichte Elektroschläge die Geruchssensibilität um 70% verbessern. Der Hintergrund dürfte in unserer Stammesgeschichte liegen: Menschen im Urwald hatten bessere Überlebenschancen, wenn sie in Gefahrensituationen den Tiger frühzeitig rochen.
Angst und Geruch sind gepaart. Bei verschiedenen Untersuchungen konnte auch gezeigt werden, dass wir am Schweißgeruch wahrnehmen können, ob jemand aus Angst oder aus Anstrengung schwitzte.
Und schließlich macht Hunger den Geruchssinn empfindlicher, wie jeder weiß, der ein paar Tage gefastet hat. Man kann dann kaum an einer Bäckerei oder Metzgerei vorbeigehen, ohne dass das Wasser im Mund zusammenläuft - so verführerisch sind die Düfte. Oder einfacher: Hunger ist der beste Koch!
Für die Betroffenen gilt meistens: Am Beginn stand eine Situation mit vermehrtem Stress!
"Geruchsverschmutzung"
Heute werden einige Tausend künstlicher Aromen und Duftstoffe produziert. Die Mengen sind riesig. Düfte sind nun kein Privileg der Reichen und Mächtigen, sondern werden im Massenmarkt und fast überall eingesetzt, von der Raumluftbeduftung über Seifen oder Kosmetika bis hin zu Nahrungsmitteln. Der gute Geruch der Bäckerei ist häufig nicht dem Backvorgang, sondern der künstlichen Beduftung zu verdanken.
Vom künstlichen Zitrusduft „Citral“ werden zehntausende von Tonnen pro Jahr allein von einem Hersteller produziert. Um solch eine Menge natürlich zu produzieren, müsste man eine Fläche von der Größe Mallorcas ausschließlich mit Zitronengras bepflanzen. Ähnliches gilt für Geschmacksstoffe. Selbst wenn sämtliche geernteten Erdbeeren in Yoghurt wandern würden, würde das für die produzierte Gesamtmenge an Yoghurt mit Erdbeergeschmack nicht ausreichen.
Kurz: Neben einer Lärmbelastung sind wir Menschen auch einer zunehmenden „Geruchsverschmutzung“ ausgesetzt. Auch Düfte können eine Art „Lärm“ produzieren, der sich zu anderen Sinneseindrücken addiert. Zonen ohne künstliche Aromen und Gerüche werden so selten wie Oasen der Ruhe und Stille. Die Nase wird mit Düften ähnlich übererregt wie die Ohren mit ungewollter Musik.
Gerüchen aus dem Weg zu gehen, ist oft schwer, da wir die Nase nicht einfach wie die Augen oder ein Fenster schließen können. Für viele betroffene Menschen ist die Hilflosigkeit, den Gerüchen nicht ausweichen zu können, daher der schwierigste Aspekt der Hyperosmie. Auf Grund der unzureichenden gesetzlichen Regelungen bei der Deklarationspflicht ist es für sie auch kaum möglich, beim Kauf eines Produktes zu erkennen, ob sie zuhause von Duftwolken benebelt werden.
Die meisten Menschen stört die Vielzahl der künstlichen Sinneseindrücke nicht. Im Gegenteil, sie können sich an Musik oder Duft erfreuen und setzen Düfte bewusst als „Aromatherapie“ ein.
Sensibilisierung des Geruchs
Feine Nase oder Krankheit?
Während es zahlreiche Erkrankungen gibt, die mit einer Minderung der Geruchsempfindlichkeit einhergehen (Infektionen, Allergien, Vergiftungen usw.), ist die gesteigerte Geruchsempfindlichkeit weit weniger gut untersucht.
Dabei gilt es, Unterscheidungen zu machen:
- Einige Menschen können einfach besser riechen als andere. Ihre Geruchsschwelle liegt grundsätzlich tiefer.
- Doch der Geruchssinn schwankt auch in seiner Leistungsfähigkeit. Typisch ist seine Erschöpfbarkeit: Wir nehmen bestimmte Gerüche nur für kurze Zeit wahr, etwa wenn wir einen fremden Raum betreten. Dann „gewöhnen“ wir uns daran. Der Geruch wird schwächer.
- Schließlich bewerten wir unterschiedliche Gerüche unterschiedlich. Was für manche Menschen ein unerträglicher Gestank ist, stört andere überhaupt nicht, ja kann sogar als angenehm empfunden werden.
Nicht besser sondern anders
Klassisch ist die Überempfindlichkeit gegenüber Gerüchen bei einem Migräneanfall. Während eines Migräneanfalls sind starke Gerüche wie Essensgerüche oder Parfum die reinste Folter und lösen Übelkeit oder Erbrechen aus.
Ganz im Zentrum steht die Geruchsüberempfindlichkeit beim MCS (multiple chemische Sensibilität). Dabei wird eine Unzahl von Gerüchen als unangenehm, störend oder belästigend wahrgenommen. Häufig lösen diese dann auch vegetative Beschwerden wie Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrationsstörungen oder andere Symptome aus. Es besteht eine große Ähnlichkeit der Symptomatik zu anderen Formen der zentralen Sensitivierung z.B. dem Fibromyalgiesyndrom.
Bei diesen Formen der Geruchsüberempfindlichkeit liegt in der Regel keine Absenkung der absoluten Reizschwelle vor (d.h. die Betroffenen riechen nicht besser), sondern eine andere Form der Bewertung (d.h. sie empfinden es anders, d.h. unangenehm).
Häufigkeit
Die Angaben über die Häufigkeit sind schwankend. Sie reichen von 0,5 bis knapp 4% der Bevölkerung. Diese Zahlen hängen vermutlich sehr stark mit dem Informationsstand der Ärzte zusammen, die mit den Beschwerden konfrontiert werden. Eine große Zahl von nicht diagnostizierten Patienten ist zumindest für Deutschland recht wahrscheinlich.
Dabei ist der Übergang von einer "feinen Nase" zum Leiden am Geruch natürlich fließend.
Risikofaktoren
Aus unserer klinischen Erfahrung sehen wir folgende weitere Faktoren, die mit einer abnormen Geruchsempfindlichkeit verbunden sind.
- Schlafstörungen
- Anhaltende Schmerzen
- Vermehrte Körpermissempfindungen (Reizmagensyndrom, Reizdarmsyndrom, Reizblasensyndrom, Unterleibsschmerzen)
- Allgemeine Reizüberflutung (Lärm, Licht)
- Depressive Verstimmungen
- Erschöpfungsgefühle
Kontroverse Diskussion
Die Diskussion über die möglichen Ursachen verläuft sehr kontrovers. Zwar besteht weitgehende Einigkeit über das reale Leiden der Patienten. Was jedoch hinter diesen Beschwerden steht, wird sehr unterschiedlich beurteilt.
Vereinfacht wird von einer Gruppe von Autoren eher eine körperliche Ursache/Defekt angenommen, während eine andere eher psychische Faktoren für maßgeblich ansieht.
Aus unserer Sicht handelt es sich um eine Sensitivierung, wie sie in analoger Weise auch bei zahlreichen anderen Syndromen zu finden ist, die auf diesen Seiten beschrieben sind. Sie ist also vergleichbar mit einer erhöhten Berührungs- oder Schmerzempfindlichkeit, Geräusch- oder Lichtempfindlichkeit, Kälte- oder Wärmeempfindlichkeit.
Problematische Meidung
Fast alle Patienten stellen fest, es geht besser, wenn sie die entsprechenden Stoffe meiden. Dies erscheint auf den ersten Blick auch folgerichtig und logisch. Kurzfristig ist ein solches Verhalten auch hilfreich und gut.
Leider ist die langfristige Folge des Rückzugsverhaltens dramatisch. Die Reizschwelle sinkt weiter ab. Wenn anfangs nur der kräftiger Geruch einer bestimmten Chemikalie die Symptomatik auslöst, reicht nach einer Weile schon der Hauch einer Empfindung aus. Die Folge ist meist weiterer Rückzug und Meidung.
Nicht selten sehen wir eine Rückzugsspirale, die am Ende zu einer vollständigen Isolation der Betroffenen führt. Sie trauen sich kaum noch aus dem Haus, vermeiden alle Orte, bei denen bestimmte Ausdünstungen auftreten könnten.
Eine ähnliche Problematik ergibt sich, falls Sie aufgrund einer hohen Geräuschempfindlichkeit nur noch mit Gehörschutz nachts schlafen. Sie werden dann - zumindest kurzfristig - entspannter schlummern. Doch nach einer Weile geht es ohne die Ohrstöpsel gar nicht mehr, da Ihre Empfindlichkeit gegenüber den Störgeräuschen weiter zugenommen hat. Ein Fall von "Ohropax-Abhängigkeit"!
Verwechslung mit Allergie
Duftstoffe lösen auch häufig Allergien aus. Nach Nickel stehen sie an der zweiten Stelle der Rangliste. Etwa 1-2% der Bevölkerung soll darunter leiden. Die Häufigkeit hat zweifellos mit der großen Produktionsmenge der künstlichen Aromen zu tun.
Hyperosmie und Duftstoffallergie sind jedoch keineswegs identisch. Die meisten Menschen mit einer Allergie gegen Duftstoffe leiden keineswegs unter einer Hyperosmie. Sie versuchen höchstens, den Duft-Allergenen aus dem Weg zu gehen, weil sie Hautausschläge, Juckreiz und tränende Augen vermeiden möchten.
Bei der MCS (multiple chemische Sensibilität) dürfte die erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Geruchs- und Aromastoffen dagegen die wesentliche Ursache der Symptomatik sein. Meist kommen bei diesem Leiden andere Formen der erhöhten Sensibilität hinzu.
Therapie
Keine Standardtherapie
Derzeit gibt es keine allgemein anerkannte Therapie z.B. bei MCS. Es werden sehr viele unterschiedliche Verfahren angeboten, die jedoch wissenschaftlich unzureichend überprüft sind. Im Bereich der Naturheilverfahren liegen eine Fülle von z.T. auch zweifelhaften Therapievorschlägen vor. Eine von der etablierten Medizin häufig empfohlene psychotherapeutische/psychiatrische Therapie wird von sehr vielen Betroffenen abgelehnt, da die Symptomatik vorwiegend körperlich wahrgenommen wird. („Ich habe Beschwerden, bin aber nicht verrückt!“)
Hauptproblem bei der Therapie ist aus unserer Sicht die Meidung. Die Umwelt wird als bedrohlich wahrgenommen und immer mehr Reizstoffe aus dem persönlichen Umfeld entfernt. Dadurch kommt es jedoch nach kurzfristiger Besserung zu einer langfristigen Zunahme der Sensibilität (Prinzessin-auf-der-Erbse-Effekt).
Umprogrammierung - Reset
Im Kern geht es bei der Therapie darum, nicht die Gerüche zu meiden sondern neu zu bewerten. Dazu ist es nötig, an der Bedeutung zu arbeiten, die sie für die Betreffenden haben. Statt "bedrohlich" sollen sie "neutral" oder idealerweise sogar "angenehm" oder gar "genussvoll" werden.
Dazu nützen wir klassische verhaltenstherapeutische Ansätze, allerdings in einem multimodalen Setting. Durch systematische Desensibilisierung werden die gefürchteten Gerüche schrittweise konfrontiert, während der Körper entspannt - ja, in einen Zustand von Genuss versetzt ist.
Beispiel: Während einer wohltuenden, genussvollen Massagen kommen anfänglich minimale, fast nicht spürbare Mengen von Parfüm zu Einsatz. Im Verlauf der Zeit steigert sich dann diese Konzentration. Am Ende wertet das Gehirn dann die Geruchsstoffe nicht mehr als gefährlich, sondern im Gegenteil als angenehm.
Worte alleine sind nicht ausreichend
Bei einer ausgeprägten Geruchsempfindlichkeit (MCS, Osmophobie) sind mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sehr alte Gehirnteile sensibilisiert. Eine Therapie, die vor allem den Verstand anspricht (kognitiv), erreicht diese alten Teile unseres Zentralnervensystems nur in geringem Maße.
Wir setzten daher auf "alte" Kommunikationsmethoden, um Sicherheit und Ruhe zu vermitteln, z.B. mit Wärme, Massagen, Bewegung oder Atmung. Und natürlich ist eine allgemeine Atmosphäre von Vertrauen und Verlässlichkeit entscheidend.
Körper, Seele und Geist müssen erst entspannt und versichert werden, damit sie sich auf die neue Erfahrung einlassen können.
Schrittweise Gewöhnung
Therapeutisch ist dagegen die langsame Gewöhnung an die Geruchswelt, in der wir nun einmal leben. Man kann die „Geruchsverschmutzung“ bedauern, ändern kann man sie - zumindest kurzfristig - nicht.
Die Gewöhnung geht, wie immer bei einer Desensibilisierung, durch Steigerung der Dosis in kleinen Schritten. Wichtig ist es, sich den bedrohlichen Sinneseindrücken in entspannter und angstfreier Umgebung auszusetzen. Das „Geruchstraining“ setzt Sicherheit und Geborgenheit voraus.
Hilfreich ist zum Beispiel angenehme Umgebung, beruhigende Musik, Anwesenheit eines vertrauten Menschen und die Gewissheit, den Geruch kontrollieren zu können. Gerade die Kontrolle ist nicht ganz einfach. So empfiehlt es sich, das Geruchstraining am Anfang nicht gerade in den eigenen vier Wänden durchzuführen, da sonst die üblen Schwaden stundenlang die Wohnung belasten.
Trainieren lässt sich sehr gut in realen Lebenssituationen. Man kann etwa eine Hitliste der Geruchstempel aufstellen. Die Aufgabe ist dann, an wenig bedrohlichen Orten mit dem Training zu beginnen, um sich an die dortigen Düfte zu gewöhnen. Man sollte versuchen, sich entspannt und gelöst in dem fremden Aroma zu bewegen. Falls Angst aufkeimt, kann man versuchen anzuhalten, sich innerlich zu entspannen, bis die Angst wieder nachlässt. Zur Not kann man den Ort vorübergehend verlassen, um möglichst unmittelbar einen zweiten Versuch zu starten.
Die Begleitung einer vertrauten Person kann anfänglich nötig sein, doch das Ziel ist es, den eigenen Fähigkeiten zu vertrauen.
Nicht ohne Atemtherapie
Leider ist dies bei ausgeprägter Symptomatik keineswegs einfach. Wenn bereits kleinste Stoffmengen heftige Symptome (Atemnot, Übelkeit, Panik) erzeugen, dann ist eine Konfrontation selbst mit minimalen Dosierungen kaum möglich.
Wir haben daher lernen müssen, dass indirekte Therapieverfahren am Anfang günstiger sind. Es geht erst einmal um allgemeine Beruhigung, Entspannung und um eine Vermehrung von Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. Solche Erfahrungen müssen „hautnah“ erlebt werden, sonst sind sie angesichts der bedrohlichen Beschwerden nicht wirksam genug. Wir setzen daher am Anfang auf sanfte Massagen, Wärme, Entspannung und ähnliche Verfahren. Parallel beginnt jedoch ein Abhärtungstraining, um das Vertrauen in die eigene Kompetenz zu stärken: Bewegung, Kältetherapie, Krankengymnastik und Muskelaufbau. Wichtig ist auch die Beruhigung der Sensoren des Magen-Darm-Traktes durch eine Schonkost mit langsamem Nahrungsaufbau.
Ein sehr wesentlicher Teil ist die Atemtherapie. Wir konnten erkennen, dass bei praktisch allen Patienten mit MCS eine beschleunigte Atmung und ein erniedrigter CO2-Wert im Blut vorhanden sind. Normalisiert sich dieser Wert, kommt es parallel zu einer Erhöhung der Reizschwelle.
Desensibilisierung weiterer Sinne
Bei den meisten Betroffenen liegt nicht nur eine abnorme Geruchsempfindlichkeit vor, sondern meist auch eine erhöhte Sensibilität in anderen Bereichen: Lärmempfindlichkeit, Lichtempfindlichkeit, vermehrte Schmerzen und eine erhöhte Wahrnehmung der inneren Organe (Reizdarm, Reizblase, Unterleibsschmerzen usw.) vermehrte Kälte- oder Wärmeempfindlichkeit (Frieren, Frösteln, Schwitzen).
Dies ist Ausdruck einer zentralen Sensitivierung, d.h. (fast) das gesamte Sinnessystem kann überempfindlich werden.
Hauptproblem der Therapie ist die Tatsache, dass die Geruchsempfindlichkeit für sich allein meist nur schlecht behandelt werden kann. Wie bei anderen Formen der gesteigerten Sensibilität sind multimodale Behandlungen notwendig. Dabei nützt man die Tatsache, dass die verschiedenen sensorischen Qualitäten meist nicht unabhängig voneinander sind. D.h., lässt die Schmerzempfindlichkeit, die Lichtempfindlichkeit usw. und die Angst nach, dann wird auch die Geruchsüberempfindlichkeit besser.
Diese Tatsache machte sich bereits Pfarrer Kneipp zunutze. Er behandelte unterschiedliche Krankheiten mit Wärme- und Kälteanwendungen. Mit dieser „Abhärtung“ konnte er nicht nur die Reizschwelle der Kälte- und Wärmesensoren, sondern die allgemeine Reizschwelle anheben.
Selbstverständlich muss eine Therapie individuell geplant werden. Ein Überblick zur multimodalen Therapie findet sich z.B. beim Thema „Fibromyalgie“.
Multimodal und hochintensiv
Ein weiteres Therapieprinzip ist das komplette Eintauchen in die Behandlung für kurze Zeit. Um solch hartnäckige Beschwerden, die häufig als „unheilbar“ bezeichnet werden, erfolgreich zu behandeln, reicht es nicht, ein- oder zweimal pro Woche ein bestimmtes Verfahren durchzuführen. Wir setzen daher auf hochintensive Therapiemaßnahmen, die sich auf 4-6 Stunden tägliches Training erstrecken.
Anfangs stellt das eine Reizüberflutung dar. Doch wenn der Körper registriert, dass alle diese Signale (Druck, Berührung, Wärme, Kälte, Geschmack, Wahrnehmung der inneren Organe, Muskel- und Gelenkswahrnehmung) nicht bedrohlich, sondern im Gegenteil wohltuend sind, geht die Reizschwelle wieder nach oben. Die erhöhte Sensibilität lässt nach, die Anspannung fällt ab, Vertrauen kehrt zurück.
Für die erhöhte Geruchsempfindlichkeit ist besonders die wiederholte Verbindung von Gerüchen mit wohltuenden Empfindungen (z.B. Massagen) wesentlich. Wenn über viele Stunden täglich Geruchsempfindungen mit Sicherheit und sogar Genuss assoziiert werden, lässt der Bedrohungscharakter der Geruchsempfindung nach, die Toleranz von „schwierige Gerüche“ nimmt zu.
Auch wenn Beschwerden über längere Zeit (z.B. Jahre) bestehen, bedeutet das nicht, dass eine Behandlung genauso lange dauern muss. Nach unserer Erfahrung ist es möglich, in zwei bis drei Wochen erhebliche Fortschritte zu erzielen.